180 III. Württemberg als Herzogthum.
Muttersprache machte ihre natürlichen, wesentlichen Rechte geltend. Aus dem
Staat und zum Theil aus der Kirche vertrieben, flüchtete sich das Lesen und
Schreiben der latelnischen Sprache in die Gelehrtenwelt. Latein sollte zur all-
gemeinen Verständigung aller europäischen Gelehrten bei schriftlicher und münd-
licher Mittheilung dienen. Aber auch aus dieser Region mußte das Latein bald
weichen. Burmann klagte im Jahr 1715, „die ernste deutsche Sprache gehe
schon seit einiger Zeit auf Abschaffen der lateinischen Rede aus, so daß man auf
Universitätskathedern und in Schulen nur die Muttersprache höre“. Und der
gelstreiche Gesner sagt: „Sonst hielt man es für eine Sünde, auf Untversttäten
anders als lateinisch zu sprechen. Und noch vor 60 —70 Jahren wagte niemand,
von dieser Observanz zu lassen. Als aber im Jahr 1695 die Halle'sche Univer-
sität gestiftet wurde, da fiengen einige an, dies zu ändern. Der erste war Chri-
stian Thomastus, welcher deutsch las, weil er nicht latelnisch verstand. Außerdem
hatte er auch ganz gute Gründe, dies zu thun; denn es war in jener Zeit, da die
Gelehrten zwar lateinisch sprachen, aber so, daß sie besser gethan hätten, deutsch
zu reden. Ja hätte man auf Schulen und Universitäten nicht in lateinischer
Sprache gelehrt, so würde diese Sprache vielleicht nicht dermaßen verdorben
worden sein. — So geschah es, daß gebildete Männer, welche Latein verstanden,
für den Gebrauch des Deutschen waren und riethen, künftighin auf Deutsch zu
lehren, Halbbarbaren dagegen das Lateinische verfochten. Aber die deutsche
Sprache machte schnelle Fortschritte und in kurzem herrschte sie vor. Gegenwärtig
vermögen selbst königliche Befehle nichts mehr gegen die Gewohnheit, in deutscher
Sprache zu lehren“. Wle auf Universitäten trat nun auch auf Schulen des
Deutsche mehr hervor und wurde fortan unter die Lehrgegenstände aufgenommen.
Im Zeitalter Ludwigs XIV. kam zum Deutschen und Lateinischen noch das Fran-
zösische. „So zelgte sich wie im Stil, so im Geschmack, ja in der Gesinnung und
im Charakter der deutschen gelehrten Stände vielfach eine widerwärtige, unleld-
liche Mischung von steifer deutsch-lateinischer Gelehrtheit und Pedanterie mit fran-
zösischer frivoler Galanterie und persidem Servilismus gegen Frankreich.“ Da-
mit begann der Kampf zwischen Latein und lateinischer Literatur und dem Fran-
zösischen und der französischen Literatur. Französisch wurde Diplomaten= und
Umgangssprache unter den höheren Ständen Deutschlands. Wohl hatte nun das
Latein die angemaßten Rechte einer zweiten Muttersprache verloren; das Deutsche
hatte seine natürlichen Rechte als echte Muttersprache geltend gemacht, aber als
Folge des schmachvollen Einflusses Frankreichs auf unser Vaterland beherrschte
das Französtsche und französische Verbildung mit unheimlichem Zauber die höhern
Stände. Wie Deutschland in politischer Beziehung von Frankreich unterjocht
war, so beugte es sich auch noch in Sprache, Sitten und Moden vor Ludwig XIV.
und seinem verworfenen Hofgesindel.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Thätigkeit des Pro-
fessors August Hermann Franke nicht bloß auf die Kirche, die innere und
äußere Mission von großem Einfluß, sondern auch auf das Schulwesen, na-
mentlich auf die Entstehung von Realschulen, die von dem Princip ausgiengen,
„nicht für die Schule, sondern für das Leben zulehren". Umge-
staltend, ja umwälzend wirkte der viel bewunderte und viel geschmähte Johann
Jakob Rousseau auf Religion, Politik und Pädagogik. In Frankreich wurde
er der Pharus der Revolutionsmänner, in Deutschland und in der Schwetz der