8. 52. Allgemeiner Ueberblick. 195
Klagen waren gerecht und das bekämpfte Regierungssystem hatte große Gebrechen.
Statt aber diesen Mängeln abzuhelfen, vereinigten sich die Regierungen unter
Preußen und Oesterreich zu neuem, verstärktem Widerstand und machten dadurch
die Kluft zwischen Regierungen und Volk nur noch tiefer und weiter.
Während in einzelnen Staaten alle Spuren konstitutioneller Freiheit zer-
stört und verwischt wurden (man denke nur an die Absetzung der sieben Göttinger
Professoren: Gebrüder Grimm, Dahlmann, Gervinus, Ewald 2c.1), regte sich in
andern Staaten ein neuer Geist. Unser Landsmann Paul Pfitzer deutete
schon 1831 an, daß Preußen die Leitung der deutschen Stämme zu übernehmen
habe, und daß es das heiligste Recht einer Nation sei, eine solche zu sein und als
solche anerkannt zu werden. Die deutsche Einheit bahnte sich auf dem Wege der
Handelsinteressen an; Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt und Preußen
schloßen 1833 einen Zollverein, dem bald noch andere Staaten beitraten. Met-
ternich erkannte darin sogleich „eine für den deutschen Bund und für Oesterreich
höchste nachtheilige, unheildrohende Erscheinung.“ Aber Metternich sollte noch
eine ganz andere „unheildrohende Erscheinung“ erleben!
Die Februarrevolution in Paris (1848) wirkte zunächst auf
Deutschland und zwar auf das Grenzland Baden. Hier war die Menge
schon im Jahr 1847 durch die radikalen Häupter Hecker und Struve entzündet
worden. Baden glaubte mit der Fahne des Fortschritts und der Neugestaltung
Deutschlands voranzlehen zu müssen. Man schickte Petitionen an die gerade ver-
sammelten Landstände und verlangte Preßfreiheit, Schwurgerichte, Bürgerwehr
und ein deutsches Parlament, das dem Bundestag als Vertretung des Volkes zur
Seite stehen sollte. Die Regierung gewährte alles; ihr folgten andere süddeutsche
Staaten; die Häupter der liberalen Partel wurden in die Ministerien gewählt
und bald wimmelte ganz Süddeutschland von „Märzministern“. Viele Mißbräuche
wurden abgeschafft; die Regierungen schickten 17 Vertrauensmänner zur Be-
rathung einer neuen Bundesverfassung in den Bundestag nach Frankfurt.
Am 13. März 1848 brach in Wien die Revolution aus, die Oester-
reich tief erschütterte. Dem Minister Metternich hatte seine Stunde ge-
schlagen. Sein Grundsatz war gewesen: „Wenn es nur uns noch aushält, mag
auch die Nachkommen die Sintflut bedecken“. Aber es hielt ihn nicht mehr
aus. Die Ungarn und Tschechen empörten sich; Plünderungen, Zerstörungen
und rohe Pöbelercesse kündigten die Auflösung der alten Ordnung an.
Metternich floh nach England; der Kaiser bewilligte alle Forderungen: Preßfrei-
heit, Bürgerwehr, Verfassung. — In Berlin kam es zu blutigen Barrikaden=
kämpfen; das neue liberale Ministerium gab den Volkswünschen nach und eine
Proklamation des Volks sprach schon von einem „König der Deutschen“.
In Frankfurt wurde in dem Vorparlament ein Fünfziger-Aus-
schuß gewählt, welcher das Reichsparlament oder die deutsche Natio-
nalversammlung einberufen sollte. Diese wurde, aus 600 Männern beste-
hend, am 18. Mat 1848 in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. eröffnet 1).
Schnell folgte Beschluß auf Beschluß, Ereigniß auf Ereigniß. Das Parlament
1) Der Bischof von Münster schlug vor, die Versammlung mit einem Gebet
um göttlichen Beistand für das schwierige Werk zu eröffnen. Aber der Kölner Raveaux
fuhr ihn höhnisch an: „aide-toi et le cicl t#aidera.“ Das Gebet unterblieb.
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