mutungen sind es, die wir hier aussprechen. Vielmehr drückt in
den freiesten Großstaaten der Neuzeit, in England und den Ver—
einigten Staaten, das Joch der öffentlichen Meinung schwerer als
irgendwo. Der Kreis dessen, was die Gesamtheit dem Bürger
als ehrbar und anständig zu denken und zu tun erlaubt, ist dort
unvergleichlich enger als bei uns. Wer Kunde hat von den denk-
würdigen Verfassungsberatungen der Konvention von Massachusetts
aus dem Jahre 1853, wer es weiß, wie damals mit Geist und
Leidenschaft die Lehre verfochten ward: „ein Bürger kann wohl
Untertan einer Partei sein oder einer tatsächlichen Gewalt (), aber
niemals Untertan des Staates“, der wird die Gefahr eines Rück-
falles in Zustände harter Sitte und schwachen Rechtes, die Ge-
fahr einer sozialen Tyrannei der Mehrheit nicht unterschätzen.
Dies hat Mill vortrefflich erkannt, und hierin liegt die Bedeu-
tung seines Buches für die Gegenwart. Er untersucht, ganz ab-
gesehen von der Regierungsform, die Natur und die Grenzen
der Gewalt, welche füglich die Gesellschaft über den einzelnen aus-
üben soll. Humboldt sah die Gefahr für die persönliche Freiheit
nur im Staate, er dachte kaum daran, daß die Gesellschaft schöner
und vornehmer Geister, welche mit ihm verkehrte, den einzelnen
je an der allseitigen Ausbildung seiner Persönlichkeit hindern
könnte. Wir aber wissen nunmehr, daß es nicht bloß eine „freie
Geselligkeit“", sondern auch eine tyrannische öffentliche Meinung
geben kann.
Um zu verstehen, in welcher Ausdehnung die Gesellschaft ihre Ge-
walt über den einzelnen ausüben solle, gilt es zunächst eine Frage
wohlgemut über Bord zu werfen, womit die politischen Denker sich
unnötigerweise viele böse Stunden bereitet haben, die Frage näm-
lich: ist der Staat nur ein Mittel zur Beförderung der Lebens-
zwecke der Bürger? oder hat die Wohlfahrt der Bürger nur den
Zweck, ein schönes und gutes Gesamtdasein herbeizuführen? Hum-
boldt, Mill und Laboulaye, sowie der gesamte Liberalismus der
Rotteck-Welckerschen Schule entscheiden sich für das erstere, die
Alten bekanntlich für das letztere. Mir scheint, die eine Meinung
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