In zwiefachem Sinn ist die Dichtkunst die Herzenskündigerin
Jhheer Zeit. Dem Dichter bleibt nicht nur das schöne Recht
herauszusagen, was die Gegenwart in ihren Tiefen bewegt; er
zwingt auch die Zeitgenossen, durch die Aufnahme, welche sie seinen
Werken angedeihen lassen, ihr innerstes Wesen der Nachwelt zu
enthüllen. Die von Grund aus verwandelte Stellung der Ge-
bildeten zu den Werken der Poesie zeigt klarer als irgendeine Tat-
sache der politischen Geschichte, daß wir wirklich binnen weniger
Jahrzehnte andere Menschen geworden sind. Als nach einer langen
Zeit vorherrschender literarischer Tätigkeit die ersten Keime freien
politischen Lebens in Deutschland sich schüchtern aus dem Boden
emporhoben, da galt es noch als ein Wagnis, der ästhetisch ver-
bildeten Lesewelt politische Geschäftssachen in nüchterner geschäft-
licher Form vorzutragen, und der alte Benzel-Sternau kleidete weis-
lich den langweiligsten aller Stoffe, einen Bericht über die ersten
bayrischen Landtage, in die phantastische Hülle eines Briefwechsels
zwischen Hochwittelsbach und Reikiavik. Nur zwanzig Jahre ver-
gingen, und jede Spur andächtigen Schönheitssinnes schien hin-
weggefegt von der politischen Leidenschaft. Alles jubelte, wenn
die Meute gesinnungstüchtiger Zeitpoeten wider die vornehme Ruhe
des Fürstenknechtes Goethe lärmte. Das Vaterland forderte, wie
ein Wortführer jener Tage selbstgefällig sagt,
von der Dichterinnung,
statt dem verbrauchten Leiertand,
nur Mut und gute Gesinnung.
Von diesem Außersten unästhetischer Roheit freilich, von diesem
Selbstmordsversuch der Poesie sind wir zurückgekommen. Der
schwere Ernst der politischen Arbeit lehrte uns die verschwommenen
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