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Mih die Jahre der Geschichte zähle, wer eines Volkes Alter
messen will; sicherer zum Ziele führt ihn die tiefere Frage,
welcher Teil der Vergangenheit noch als Geschichte in der Seele
des Volkes lebendig ist. Wer aus dem Kampf der Gegenwart
um den Grundbau des deutschen Staates noch nicht die Einsicht
gewonnen hat, dies alte Land komme jetzt zum zweiten Male zu
seinen Tagen: der mag die Jugend unseres Volkes erkennen an
der vergeblich geleugneten Tatsache, daß unser Mittelalter dem
Bewußtsein der heutigen Deutschen unendlich fern steht. Nicht
bloß der Masse ist nahezu alles aus dem Gedächtnis geschwun-
den, was über die Tage der Schwedennot und der Reformation
hinausliegt. Auch das Urteil der Gebildeten ist nur über sehr
wenige Erscheinungen jener reichen Zeit zu einem festen Schlusse
gelangt. Der heute mit neuem Eifer entfachte Streit über das
Kaisertum, wäre er möglich in einem Volke von einfacher, unge-
brochener Entwicklung? Noch mehr, sogar das durchschnittliche
Maß unserer Kenntnisse von dem deutschen Mittelalter ist erstaun-
lich dürftig für ein so gelehrtes Volk und nach so emsiger Arbeit
der historischen Wissenschaft. Was andres lehren in der Regel
unsere gelehrten Schulen, als ein willkürliches Gemisch gleichgül-
tiger Tatsachen, das man Geschichte des engeren Vaterlandes zu
taufen liebt, und jene Kaisergeschichte, welche dahinging wie der
Traum einer Sommernacht und mit all ihrem Glanze die Deut-
schen doch nur als die Lernenden zeigt? Kaum daß eine hinge-
worfene Notiz dem süddeutschen Knaben eine Ahnung gibt von
der größten, folgenreichsten Tat des späteren Mittelalters, von dem
reißenden Hinausströmen deutschen Geistes über den Norden und
Osten, dem gewaltigen Schaffen unseres Volkes als Bezwinger,
Lehrer, Zuchtmeister unserer Nachbarn.
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