Full text: Vorgeschichte des Waffenstillstandes.

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Ich möchte zuerst auf die operative Gesamtlage kommen und mit wenigen 
Worten einen Rückblick geben, weil aus diesem Rückblick das Verständnis für unsere 
heutige Lage mit zwingender Logik folgt. 
Die politische Einkreisung der Friedensjahre ist restlos zu einer militärischen 
geworden. 1915 bis 1917 haben wir versucht, die Einkreisung zu durchbrechen und 
den Ring zurückzudrängen; dies ist zum Teil gelungen — nach Osten und Südosten. 
Dadurch haben wir unzweifelhaft eine wesentliche wirtschaftliche Stärkung zum Durch- 
halten erreicht, dafür eine militärische Schwächung in den Kauf genommen durch die 
Ausdehnung der Räume, die mit unseren Kräften nicht in Einklang stand. 1918 wurde 
ein erneuter Versuch gemacht, am stärksten Teil des Ringes, im Westen, die Entscheidung 
herbeizuführen. Der Versuch ist mißlungen. Damit rückte die Gefahr des Zusammen- 
bruches unserer Verbündeten in allerbedrohlichste Nähe und ist sogar in einem Maße 
und einer Schnelligkeit eingetreten, wie sie nicht erwartet wurde. 
Damit wurde freie Bahn für unsere Feinde geschaffen, die Einkreisung un- 
mittelbar an die deutschen Grenzen heranzutragen. Die entschlossene und zielsichere 
politische Kriegsührung unserer Feinde unter dem diktatorischen Dreigestirn Wilson, 
Clemenceau und Lloyd George, läßt erwarten, daß auch dic militärische Führung die 
vollkommenste Kriegsentscheidung, die Umzingelung und Kapitulation des deutschen 
Volkes, anstreben wird. Dabei finden die militärischen Operationen unserer Feinde 
eine kräftige Unterstützung in dem Bolschewismus, der von Osten und Südosten in unser 
Volk und Heer eindringt. 
Bei längerer Fortsetzung des Krieges ist die Möglichkeit in unser Kalkül ein- 
zustellen, daß nicht nur die Rumänen den Krieg wieder auf- 
nehmen, sondern auch die Tschechoflowaken und andere 
Teile unserer bisherigen Verbündeten aktiv die Ope- 
rationen unserer Feinde unterstützen. Die passive 
Unterstützung ist ihnen schon durch die Waffenstill- 
standsbedingungen in der schärfsten Weise auferlegt. 
Auf die zahlenmäßige große Uberlegenheit unserer Feinde, nachdem das deutsche 
Heer auf sich allein gestellt ist, brauche ich nicht weiter hinzuweisen. 
Es liegt nahe; unsere militärischen Kräfte durchaus zu konzentrieren und alle 
auf dem weiten Ringe im Südosten und Osten noch befindlichen Teile an die deutsche 
Grenze zurückzuziehen. Dies ist bereits befohlen für alle Truppen in Ungarn und Ru- 
mänien. Wir hoffen, daß ein Abtransport mit der Eisenbahn möglich sein wird; andern- 
falls müssen sie sich durchschlagen. Die geringen Truppen und Formationen, die sich noch 
auf dem italienischen Kriegsschauplatz befinden, sind auf dem Rückwege. Wie die 
Truppen aus Kleinasien herauskommen werden, ist noch nicht zu übersehen. 
Besonderer Erwägung bedarf es, ob es geboten ist, die Truppen im Osten ein- 
schließlich Ukraine zu belassen. Abgesehen von politischen und wirtschaftlichen Mo- 
menten ist zu bedenken, daß mit dem Zurückziehen der Truppen der Bolschewismus der 
aufgegebenen Gebiete sich bemächtigt und unserem Vaterlande auf den Leib rückt. Sollten 
wir durch unsere Feinde gezwungen werden, den Krieg bis zur völligen Unterwerfung 
fortzusetzen, so bleibt nichts übrig, als auch diese Truppen zur unmittelbaren Ver- 
teidigung unserer Landesgrenzen zurückzuziehen. 
Eine sefortige Aufgabe des gesamten Ostens zwecks Verstärkung 
des Westheeres erscheint, abgesehen von allen anderen auch aus militärischen Gründen, 
nicht geboten. Schnell würden die Truppen im Westen wegen der Transport-
	        
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