Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
18 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch. 
  
stellte und darin besonders die wichtigen Streitfragen des Rechtes der Konterbande 
und der Blockade regelte. Allein auch diese Deklaration konnte bis jetzt die Katifikation 
von keiner Seite erhalten und demgemäß hat das Seekriegsrecht bis jetzt nur in wenigen 
Einzelpunkten eine internationalrechtliche Ordnung gefunden. An den einschlägigen 
Arbeiten hat das Deutsche Reich einen hervorragenden Anteil genommen. 
3. Das Finanzwesen des Reiches. 
Das Finanzwesen des Reiches sollte nach der KReichsverfassung auf 
dem Grundgedanken beruhen, daß die Bedürfnisse des Reiches auf- 
zubringen seien 1. durch die Erträge einiger vom Reiche übernommenen Verwaltungs- 
zweige; außer einigen Arten von Gebühren kamen hier besonders in Betracht die 
Post- und Telegraphengefälle sowie die Erträge der „Reichseisenbahnen"“. Dazu 
kommen 2. die Zölle und die sog. indirekten Steuern (Bier, Branntwein, Rübenzucker, 
Salz, Tabak, Schaumwein), ferner 3. einige sog. Stempelsteuern (Wechsel, Spiel- 
karten, Börse), 4. weiter die vom Reich geordnete Erbschaftssteuer (seit 1906), von 
deren Ertrag dem Reich 3/4 seit 1915 /8 zugewiesen wurde, 5. die seit 1909 einge- 
führten Steuern auf Leuchtmittel und Zündwaren. Reichten die eigenen Finanzquellen 
nicht aus, so sollten 6. „Matrikularbeiträge“ erhoben werden, eine einfache Kopfsteuer, 
die die Einzelstaaten ans Reich zu zahlen hatten. 
Grundlagen. 
  
Die Entwickelung des Reichsfinanzsystemes erfolgte in 
vier großen Evolutionen, 1879, 1887, 1909, 1913. Die 
große, in erster Linie von wirtschaftlichen Notwendigkeiten beherrschte Umgestaltung 
des deutschen Zollsystems im Jahre 1879 ergab, nebst der Neugestaltung der Tabak- 
steuer, eine so bedeutende Erhöhung der eigenen Reichseinnahmen, daß ein völliger 
Wegfall der Matrikularbeiträge hätte in Aussicht genommen werden können, wäre 
nicht aus politischen Gründen (Frankensteinsche Klausel) eine höchst künstliche dauernde 
Festlegung der Matrikularbeiträge erfolgt, die zu einer verwirrten Verrechnung zwischen 
Reich und Einzelstaaten und damit zu einer allgemeinen Verwirrung des Reichshaus- 
haltes führen mußte. Immerhin war volkswirtschaftlich und staatsrechtlich durch die 
Gesetzgebung von 1879 ein großer Erfolg erzielt. 
Als die wachsenden Bedürfnisse des Reiches zur Erschließung neuer Finanzquellen 
nötigten, erfolgte diese 1887 durch eine große Reform der Branntweinsteuer (Miquel), 
deren Ergebnis so bedeutend war, daß — trotz der leider auch jetzt festgehaltenen ver- 
wirrten Rechnung mit Uberweisungen und Matrikularbeiträgen — in Wirklichkeit für 
eine Reihe von Zahren die Matrikularbeiträge nicht mehr existierten, sondern nur noch 
als künstliche Fiktion durch Aufrechnung von sog. „Überweisungen“ und Matrikular- 
beiträgen fortgeschleppt wurden. Leider wurde diese Fiktion verhängnisvoll. 
Der zunehmenden gewaltigen Steigerung der Bedürfnisse des Reiches konnte dieses 
Finanzsystem bald nicht mehr genügen. Seit Mitte der 90er Jahre gerieten die Finanzen 
des Reiches in eine vollständige innere und äußere Verwirrung. Oie eigenen Finanz- 
Weitere Entwicklung. 
  
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