Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
II. Buch. Staats- und Verwaltungerecht. 39 
  
entfaltet, die an die Blütezeit der deutschen Städte in der ersten Hälfte des Mittelalters 
erinnert, ja sie wohl noch übertrifft. Eine umfassende neue Gesetzgebung war hierfür 
nicht erforderlich; nur für Hessen-Nassau mußte eine vollständige Städteordnung 1897 
erlassen werden; in Einzelpunkten allerdings erfolgte eine Veränderung der bisherigen 
Gesetzgebung, so mußte insbesondere durch neue Gesetzesvorschriften 1900 das Recht 
der Stadtverordnetenwahl in Einklang mit der neuen Steuergesetzgebung gebracht 
werden; für die Bildung der drei Wählerabteilungen ist auch in den Gemeinden der 
Betrag der direkten Staats-, Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Provinzialsteuern zu- 
grunde zu legen. 
Einen erheblichen Umfang hat im Gesamtzusammenhang der wirtschaftlichen Ent- 
wickelung die gesetzgeberische Tätigkeit angenommen bezüglich der Bildung von Stadt- 
kreisen und der Eingemeindung umliegender Gebiete in die Stadt, die selbst die völlige 
Aufhebung von Landkreisen (Mülheim a. d. Ruhr, Frankfurt a. M.) zur Folge hatte. 
Als besonders bemerkenswert mag die Bereinigung der drei Städte Saarbrücken, St. 
Johann und Malstadt-Burbach zur einheitlichen Großstadt Saarbrücken hervorgehoben 
werden (1909). Der Gedanke der Kreisordnung, daß die größeren Städte — nach Maß- 
gabe der Bevölkerungsziffer, die in den verschiedenen Kreisordnungen verschieden be- 
messen ist — selbständige Kreise bilden, in denen die städtische Kommunalverwaltung 
zugleich die Geschäfte der Kreisverwaltung zu besorgen hat, hat durch die Zunahme der 
Bevölkerung eine immer wachsende Bedeutung für die Gesamtverwaltung des Staates 
gewonnen. Zede der 12 preußischen Provinzen zählt heute eine größere Anzahl von 
solchen „kreisfreien“ Städten, von „Stadtkreisen“. Das wohlverständliche Bestreben der 
Städte, ihrer Verwaltung die breitere Grundlage eines größeren Gebietes zu geben, 
das zusammentraf mit verwaltungstechnischen Notwendigkeiten, insbesondere für Zwecke 
der Polizeiverwaltung, hat zu zahlreichen Eingemeindungen in allen Teilen der Monarchie 
Veranlassung gegeben; man darf behaupten, daß die Frage der notwendigen oder wenig- 
stens zweckmäßigen Eingemeindungen ein Problem des allgemeinen Berwaltungerechtes 
geworden ist. Zurzeit erfolgen diese Eingemeindungen durch Einzelgesetze; ob es sich 
empfehlen würde, allgemein gesetzliche Normatiobestimmungen hierüber zu erlassen, 
werden Regierung und Volksvertretung erwägen müssen. 
Hinsichtlich der Organisation der Polizeiverwaltung ist 
seit 1900 eine Anderung dahin erfolgt, daß in Celle, Göt- 
tingen, Marburg die aus vorpreußischer Zeit bestehende staatliche Polizeiverwaltung als 
nicht erforderlich aufgehoben wurde und an deren Stelle städtische Polizeiverwaltung 
trat. Dagegen wurde andrerseits staatliche Polizeiverwaltung eingerichtet in den 
schwierigen Industriebezirken Essen und Gelsenkirchen. Die Grundlage hierfür bietet 
ein Gesetz von 1911, das in den Regierungsbezirken Düsseldorf, Arnsberg, Münster 
die Übertragung der Sicherheitspolizei an Staatsorgane auch für solche Orte gestattet, 
an welchen die allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen für Einrichtung staatlicher 
Polizei nicht gegeben sind. Auch auf den Regierungsbezirk Oppeln wurde dieser Grund- 
satz übertragen und noch auf die Gesundheits-, einschließlich der Veterinärpolizei ausgedehnt. 
6. Polizeiverwaltung. 
  
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