Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

Das Handelsrecht 
Von Dr. Hans Trumpler, Syndikus der Handelskammer Frankfurt a. M. 
Die politische Einigung unter einer zentralen Staatsge- 
walt hatte in Deutschland die latenten wirtschaftlichen Kräfte 
freigelegt, deren rapide Entfaltung das junge Reich in kurzem zu einem der ersten 
Handels- und Industriestaaten der Welt machte. Die Gesetzgebung wurde bierdurch 
vor große Aufgaben gestellt. Es galt, die gesetzlichen Vorschriften dem gesteigerten 
Binnen- und Welthandelsverkehr anzupassen, für neue Erscheinungen des wirtschaft- 
lichen Lebens die rechtliche Basis zu schaffen. Die außerordentlich schnelle wirtschaft- 
liche Expansion, in Verbindung mit technischen Umwälzungen, Hatte dabei zu einer 
tiefgreisfenden Veränderung in der Struktur der Bevölkerung geführt. Es traten 
Verschiebungen ein zwischen den landwirtschaftlichen und den in Handel und Industrie 
tätigen Bevölkerungskreisen, zwischen Großhandel und Industrie auf der einen und Klein- 
handel und Handwerk auf der anderen Seite. Es entstand ein großes Arbeiterheer, 
ein neuer Stand von Privatangestellten. Die fortschreitende Entwicklung hat die Ge- 
setzgebung gezwungen, den individualistischen Zug, der sie bis über die Mitte des 
19. Zahrhunderts beherrscht, immer mehr zu verlassen. Mit dem Prinzip des laisser faire 
wurde gebrochen. Die Gesetzgebung zögert jetzt nicht mehr, auch in komplizierte Gebilde 
des wirtschaftlichen Lebens in einer von den Interessenten nicht selten schmerzhaft 
empfundenen Weise einzugreifen. Leitende Grundgedanken ihrer Tätigkeit sind dabei: 
tunliche Ausgleichung kollidierender Interessen, Milderung der sozialen Gegensätze, 
Schutz des wirtschaftlich Schwachen, Hebung der geschäftlichen Moral, Stärkung der 
Reellität des käufmännischen Verkehrs. 
Neue Aufgaben. 
  
Handelsgesetzbuch 1897. Im Mittelpunkt der Gesetzgebungsarbeit steht die 
Neurevision des Handelsrechts durch das 968. 
vom 10. Mai 1897. Aeben der gleichzeitigen Kodifikation des bürgerlichen Rechts tritt die 
des Handelsrechts allerdings an Bedeutung weit zurück. Der Wunsch nach Rechtseinheit 
war bereits durch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch, verfaßt 1857—1861, verwirk- 
licht worden; es galt daher hauptsächlich, dieses nach Form und Inhalt gleich vorzügliche 
Gesetzgebungswerk, dessen Einfluß weit über die Grenzen Deutschlands ging, mit den Vor- 
schriften des neuen bürgerlichen Rechts in Einklang zu bringen. Immerhin bot sich auch 
bier die Gelegenheit, den Verkehrsbedürfnissen durch die Regelung einiger neuen Materien 
zu entsprechen und die oben entwickelten Grundgedanken zum Ausdruck zu bringen. 
  
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