Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
34 Die Kolonien. V. Buch. 
  
gehörte, mit großem Nachdruck eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die nach ihrer 
Meinung die Vorteile mehr als aufwogen. Diese waren: das überaus ungesunde Klima 
in dem weitaus größten Teile des erworbenen Gebietes, vor allem die Verseuchung 
weiter Landstriche durch die gefährliche Schlafkrankheit, die Vergebung eines großen, 
und zwar gerade des kautschukreichsten Teiles an französische Konzessionsgesellschaften, 
die unnatürlich langgedehnten Grenzen mit den beiden schmalen Zipfeln nach den Flüssen 
Ubangi und Kongo, die infolge der Kongo-Katarakte nicht einmal für Seeschiffe erreich 
bar sind, und schließlich das Zugeständnis von 20 französischen Etappenposten im deut- 
schen Gebiet, die nichts anderes als eine etwa 250 km lange Etappenstraße durch das- 
selbe bedeuten, militärisch die größten Bedenken erregen müssen und vom nationalen 
Standpunkte böchst bedauerlich erscheinen. Alles Authentische, was bisher über die neu- 
erworbenen Gebiete zu uns gelangt ist, ist nicht dazu angetan, die Skeptiker eines anderen 
zu belehren. ODaß tatsächlich Kautschuk in beträchtlicher Menge vorhanden ist, was übri- 
gens von der Gegenseite niemals bestritten worden ist, scheint sich zu bestätigen. Der 
Ausbeutung der Bestände wird aber die Krisis auf dem Kautschukmarkte großen Eintrag 
tun. Leider hat die Schlafkrankheit eine noch erheblichere Ausdehnung, als selbst die 
größten Pessimisten angenommen hatten, so daß ernstlich die Frage zu erwägen sein 
wird, ob nicht ein großer Teil des Gebietes bis auf Weiteres gänzlich für Weiße 
zu schließen sein wird. Ein Jahr zuvor war in Brüssel eine alte, für unser oft- 
afrikanisches Schutzgebiet ungemein wichtige Streitfrage entschieden und die Grenze 
mit dem belgischen Kongo endgültig so festgelegt, daß das große und dicht bevölkerte 
Sultanat Ruanda, das Belgien zur Hälfte für sich beansprucht hatte, ungeteilt deut- 
scher Besitz verbleibt, ein für uns sehr günstiger Ausgang, der wesentlich der ausgiebigen 
Zuziehung kolonialer Sachverständiger zu verdanken ist. 
Has ostasiatische Schutzgebiet. Einer kurzen, gesonderten Betrachtung bedarf 
noch unser ostasiatisches Schutzgebiet, das 
Pachtgebiet Kiautschau. Dies rechtfertigt sich aus dem von den übrigen Kolo- 
nien völlig verschiedenen Grundcharakter und dementsprechenden Entwickelungsgang 
desselben. Unser asiatisches Schutzgebiet spielt die doppelte Rolle einer deutschen Flotten- 
basis im fernen Osten und einer typischen Handelskolonie, deren wirtschaftliche Haupt- 
funktion in einer amtlichen Denkschrift treffend als „in der Vermittelung des Güter- 
austausches zwischen zwei großen Wirtschaftsgebieten liegend" bezeichnet wird. Von vorn- 
herein reichlich mit Mitteln ausgestattet, unter starkem militärischen Schutz stehend, sind 
ihr kriegerische Verwickelungen und sonstige Rückschläge erspart geblieben, durch die der 
Fortschritt der übrigen Kolonien jahrzehntelang gelähmt wurde. 
Aach einem sorgfältig erwogenen Plan ging man sofort nach der Besitzergreifung 
daran, die Bedingungen für einen erstklassigen Handelsplatz und Umschlagshafen durch 
moderne und groß angelegte Hafeneinrichtungen zu schaffen, und das reiche und bevölkerte 
Hinterland, vor allem die Provinz Schantung, durch Verkehrswege zu erschließen. Hier 
ist vor allem die etwa 400 km lange Deutsche Schantung-Eisenbahn zu nennen, deren 
Reinertrag im Jahre 1912 sich auf 5 1/8 Mill. M. belief und die durch ein neuerliches Ab- 
  
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