Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

116 Die staatswissenschaftliche Theorie der Griechen 
nun bei der geistigen Tiefe und Lebendigkeit jenes in vielem 
Betracht fast wunderbaren Volkes kein Blick auf jene Gebiete 
gefallen sein, deren Umfang und Bedeutung niemanden je ent- 
gangen ist, den der Gang der Ereignisse oder eignes Studium 
ihnen einmal nahe gebracht ? 
So viel uns bekannt ist, existirt indess über die Frage, ob 
vor Platon und Aristoteles schon eine staatswissenschaftliche 
Literatur bei den Atheniensern dagewesen, keine Untersuchung 
und auch keine Angabe mit Ausnahme eines einzigen Punktes, 
der Sklavenfrage. Wir wollen nun keineswegs in Abrede stellen 
dass auch die sorgfältigste Untersuchung der alten Klassiker 
kaum im Stande sein dürfte, irgend etwas wesentliches zu dem 
allerdings kahlen Schema — um uns des Ausdrucks. zu bedie- 
nen — hinzuzufügen, das wir aus dem ersten Kenner der Lite- 
ratur seiner Zeit, aus Aristoteles selbst uns gesammelt haben; 
und wir glauben daher, dass man sich täuschen würde, wenn man 
sich von einer solchen Untersuchung die Herstellung einer vollen 
und lebendigen Literatur in unserm Sinne des Wortes verspräche. 
Es wird vielmehr das Folgende zeigen, wie wenig Positives uns 
zu Gebote steht. Aber dennoch müssen wir die Untersuchung 
und Darstellung dessen, was uns wohl hauptsächlich Aristote- 
les in beiläufigen Andeutungen gerettet hat, für eine ganz we- 
sentliche Erfüllung unserer Kunde der griechischen Wissenschaft 
halten. 
Die hergebrachte Art und Weise, wie man Aristoteles und 
Platon in der Geschichte der Rechtphilosophie hinzustellen pflegt, 
muss bei, jedem der die Bewegungen des griechischen Volkes 
nicht lebendig gegenwärtig hat, die Vorstellung erwecken, dass 
jene beiden Heroen die Staatswissenschaft, deren Einfluss nicht 
bloss heute dauert sondern der da dauern wird so lange es eine 
Wissenschaft giebt, ja der so gross ist dass es bloss durch sie 
schon eine Wissenschaft geben wird, fast ohne alle Vorgänger 
ihre mächtigen Systeme und Lebensanschauungen wie eine ge- 
wappnete Minerva in ürsprünglicher That aus sich selbst geboren 
haben. Abgesehen davon, ob dies richtig ist oder nicht, ist es 
wenigstens für die meisten Menschen viel leichter, dies in solcher 
Weise sich zu denken. Denn wenn jene beiden Männer mit
	        
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