126 Die staatswissenschaftliche Theorie der Griechen
betrifft, klar sein. Ein grosser Schriftsteller gleicht in der That
der Blüthe eines Baumes, die mit der Zeit zur Frucht wird und
einen Samen erzeugt. Es.ist wahr, dass er auf .diese Weise
die Lebenskraft seiner Epoche gleichsam in ihrer höchsten Spitze
in sich zusammenfasst, und es ist bekannt, dass auch in der
geistigen Welt wie in der natürlichen nach der fruchttragenden
Zeit stets eine Epoche der Leere und Erschöpfung folgt, wie
denn andrerseils auch Stellung und Ordnung der besondern Zeit
wesentlich nach ihren Haupterscheinungen im Gebiete des geistigen
Lebens berechnet werden. Aber eben desshalb reicht für das
Bild der Pflanze nicht blos Blüthe und Frucht aus; wir müssen
lernen nach Stamm und Blatt zu suchen, und jene wird um so
sicherer erkannt und um so schöner dargestellt werden, je ge-
nauer und reichlicher die Kunde von diesen ist. _
Aristoteles nun mit seiner Politik steht in der Wissenschaft
vom Staate in allen Beziehungen so hoch und in einigen so
unerreicht da, er hat einen so ungemeinen Einfluss auf alle Jahr-
hunderte gehabt, die ihn überhaupt nur gekannt haben, dass es
unendlich viel merkwürdiger wäre wenn er sein Buch ‘ohne
alle Vorarbeiten Anderer aus sich selbst heraus erschaffen hätte,
als er es jetzt durch das’ ist, was ihn so hoch über die meisten
Arbeiten in der Staatskunst hinstellt. Aber schon die ganze Art
und Weise seines Vortrages zeigt, dass dasjenige wovon er
redet nicht zum erstenmale in seinem Volke besprochen wird.
Diese Kälte und Vielseitigkeit, mit der er seinen Gegenstand
behandelt, dies Hin- und Herwenden jeder einzelnen Frage,
diese kühle Betrachtung derjenigen Dinge, die sonst zur Begeiste-
rung hinzureissen pflegen, gehören keineswegs blos dem reiferen
Alter eines Mannes, sondern eben so sehr dem Alter und der
Reife dieser geistigen Beschäftigung selbst an. Wo eine neue
Theorie oder Ueberzeugung, oder eine neue Ordnung der Dinge
entsteht, da pflegt dieselbe mit Wärme und Eifer aufzutreten,
und den ganzen Menschen zu erfassen, gleichsam Gluth und Funken’
von sich zu werfen; ihr erscheint nichts zu hoch, nichts was
sich durch sie nicht erklären liesse, nichts was nicht unbedingt
sich entweder anschliessen oder ihr entschieden entgegentireten
müsste. Die innere Lebendigkeit der Ueberzeugung wird zu