470 Die staatswissenschaftliche Theorie der Griechen
seln konnte, dass die Einen ihrer Natur nach Sklaven seien,
die Anderen frei. Und es ist beinahe eine Rohheit, mit Aristoteles
zu sagen, dass „von Natur der ein Sklave ist, der eines Anderen
sein kann, und desshalb ist er auch (Eigenthum) eines An-
deren“ !). Solche Sätze waren doch nur im. Heidenthum mög-
lich; nirgends mehr als auf diesem Punkte begreift man, welche
hohe Sendung das Christenthum bei aller Freiheit und allem
Glanze der hellenischen Welt hatte.
So nun war auch hier. eine starke Bewegung im Gebiete
der Staatswissenschaften, und die Ausführlichkeit, mit welcher
Aristoteles seine Ansicht molivirt, zeigt das Gewicht der Frage
und die grosse 'Theilnahme, die sie unzweifelhaft erweckte. Leider
fehlen uns, wie gesagt, bestimmte Namen und Angaben; doch
scheint uns auch das Obige schon eine nicht unwichtige Stelle
im wissenschafllichen Leben Griechenlands auszufüllen.
Wir wollen nun, soweit es möglich ist, auch nach andern
Seiten hin einen Blick werfen.
Was zunächst die Statistik und die Behandlung derselben
vor Aristoteles betrifit, so muss man unserer Ansicht hier scheiden,
wenn man ein bestimmtes Resultat erreichen will. Wir ‚wissen,
dass die Griechen Anstalten hatten, um namentlich die Bevöl-
kerung, wenigstens die der Freien, zu kennen. Sie hatten ihre
Bürgerrollen und ihre Militairrollen, die gewiss mit derselben
Genauigkeit damals geführt worden, wie sie noch jetzt geführt
werden; ausserdem müssen nothwendig Slaalsrechnungen und
dergleichen vorgelegen haben, wie wir das denn ja auch wissen.
Unsere Frage kann jedoch nicht die sein, was man in dieser
Beziehung in Alhen besass, sondern vielmehr die, ob es eine,
aus dieser Thatsache herausgearbeitete wissenschaftliche
Stalistik gegeben habe vor der Zeit des Aristoteles. Aristoteles
selbst kennt die Statistik nicht; der erste eigentliche Statisliker,
den wir haben, ist offenbar Xenophon in seiner Arbeit rseol
90000Wv. Die vorausgesandte Beschreibung Attikas ist eben
1) Pol. I. 2. 13. — Rousseau sagt über die Ansichten des Aristoteles
mehr geistreich als wahr: Aristotele avait raison, mais il prenait l’effet pour
la cause. Tout homme ne dans l’esclavage nait pour l’esclavage; rien n’est
plus certain. Contrat social, 2.