568 Völkerrechtliche Lehre
gemässigte System Alles leistet, was nach Recht und Zweckmäs-
sigkeit verlangt werden kann: so ist klar, dass Niemand befugt
ist, weiter gehende Forderungen zu stellen. -Von einem Rechte
dritter Staaten, uns ihre Auffassung aufzunöthigen, kann somit keine
Rede sein. Sie mögen ihr Ansinnen stellen; allein wir sind
rechtlich nicht verpflichtet, demselben uns zu fügen. Namentlich
kann von einer völkerrechtlichen Verpflichtung, weiter zu gehen,
gar nicht die Rede sein, da die Uebung vieler und sehr bedeu-
tender Staaten nicht einmal ganz einräumt, was das genannte
System verlangt. — Was nun aber die Klugheitsrücksichten be-
trifft, so mag es sich immerhin begeben, dass unserer Weigerung
missliebige Maassregeln von der andern Seite folgen. Hier tritt
denn nun aber die Alternative ein, dass entweder der fremde
Staat uns, im Wege der Retorsion, gerade so behandelt, wie wir
uns gegen ihn verhalten; oder dass er anderweitige und mittel-
bare Nöthigungsmittel anzuwenden versucht, z. B. Verweigerung
von Vortheilen, welche er uns sonst bewilligt hätte, Bestürmung
mit Vorstellungen u. s. w. In dem ersten Falle erdulden wir
offenbar gar kein Uebel, indem dann eben zwischen beiden Staaten
der Zustand hergestellt ist, welcher uns von Anfang an als der
richtige erschien. Es werden z.B. von beiden Seiten politische
Flüchtlinge nicht ausgeliefert. Dass dieser Zustand keinen Grund
abgeben kann, abzuweichen von unseren Grundsätzen, versteht sich
von selbst. Im andern Falle mögen wir allerdings mehr oder
weniger empfindlich leiden; und zwar ist natürlich nicht im All-
gemeinen zu sagen, wie weit diess gehen kann. Dennoch
scheint auch hier kein Zweifel über das Festhalten an dem rich-
tigen Systeme bestehen zu können. Wenn in einer so wichtigen
Frage, wie das Verhalten zur Weltrechtsordnung ist, ein Staat
gegen seine Auffassung von Pflicht und Recht fremdem Ansinnen
nachgiebt, so ist seine Selbstständigkeit verloren, damit aber
auch jeder unberechtigten und schädlichen Forderung fremden
Uebermuthes Thür und Thor geöffnet. Hier gilt es also, (wenn
irgend die Macht zur Wahrung der Gleichberechtigung und Un-
abhängigkeit vorhanden ist, ) tapfer Stand zu halten. Welche
bessere Stellung kann er aber haben, als die Vertheidigung einer
Handlungsweise, welche sich einfach auf die Vorschriften der