576 Völkerrechtliche Lehre
Ausbildung einer allgemeinen Justiz-Politik. Diess aber darf
nicht gering angeschlagen werden, denn es ist in der That s chon
längst ein grosses Bedürfniss, dass wir die gesammte Rechts-
pflege auch vom Standpunkte der Zweckmässigkeit behandeln,
und zwar grundsätzlich und im Zusammenhange. Gehört es doch
sicher zu den grössten Wunderlichkeiten, dass wir uns in so
überschwänglicher Weise und in unberechenbar grosser Anzahl
mit dem Inhalte einer Lehre beschäfigen, ohne dass die Art
und Weise, dieselbe zweckmässig in’s Leben zu setzen, irgend
ein Gegenstand der Betrachtung wäre. Wie wenn sich das Al-
les von selbst verstünde oder gleichgiltig wäre! Nichts bewegt
aber so leicht zu einer Fortsetzung, als ein guter Anfang; ein
solcher aber ist es, wenn einmal allseitig und verständig erörtert
sein wird, wie sich der Staat in Sachen der Rechtspflege gegen
auswärtige Staaten am zweckmässigsten benimmt, und welche
Einrichtungen dazu nöthig sind.
Fast mit Schüchternheit erwähne ich schliesslich noch der
Staats-Sittenlehre. Es sind der Wissenschaftskreise, welche
den Staat zum Mittelpunkte haben, schon so viele, dass es wohl
der Ueberlegung bedarf, ehe eine weitere noch zur Ausbildung
empfohlen wird. Da es jedoch wohl keinem Widerspruche unter-
liegen wird, dass eine vollständige Erörterung des Staates und
seines Lebens nur unter der Voraussetzung einer Betrachtung
vom reinsitllichen Standpunkte besteht: auch sicher kein Grund
vorhanden ist, warum diese Seite der Staatswissenschaften nicht
auch selbstständig dargestelli werden könnte, sondern immer nur
als ein Bestandtheil der allgemeinen Sittenlehre zu behandeln
wäre: so mag eine eigene Disciplin immerhin angenommen werden.
Ist dem aber also, so hat dieselbe natürlich auch die Frage zu
beantworlen, welche sittliche Pflichten der Staat hinsichtlich frem-
der Rechisordnungen habe; und je gründlicher und sachgemässer
ein so tief und unmittelbar in das Leben eingreifender Gegen-
stand behandelt wird, desto leichter wird auch die ganze Lehre
Anerkennung ihres Daseins und Werthes nicht nur bei Philo-
sophen und Theologen, sondern auch bei Staatsmännern er-
werben. Auch für diese, in der Regel allerdings weniger be-
achtete, Seite der Wissenschaft vom Staate ist somit eine richtige