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ist jedoch nur bei einem sehr geringen Umfange des Gebietes und
bei sehr einfachen Verhältnissen möglich. Regelmäßig ist die
politische Organisation, selbst bei wenig‘ entwickelten Völkern,
noch mehr aber bei solchen, welche einen höheren Standpunkt der
Kultur erreicht haben, eine kompliziertere. Es besteht eine
Mehrheit politischer Gemeinwesen, welche sich im Verhältnis der
Über- und Unterordnung befinden und somit zu einem poli-
tischen Gesamtverbande vereinigt sind. In diesem Falle
verteilt sich die Gesamtheit der Aufgaben, deren Erfüllung als
Zweck der politischen Organisation erscheint, unter die einzelnen
Gemeinwesen, welche Bestandteile des politischen Gesamtverbandes
bilden. Der Wirkungskreis des Gesamtverbandes ist unbegrenzt;
den einzelnen politischen Gemeinwesen, aus welchen derselbe besteht,
kann dagegen ein beschränkter Wirkungskreis zugewiesen sein.
Hinsichtlich der Art, wie die Verteilung der politischen Aut-
gaben unter die einzelnen politischen Gemeinwesen stattfindet, be-
stehen außerordentlich verschiedene Möglichkeiten; es sind daher
die verschiedensten Formen der politischen Organisation möglich.
Unter diesen treten jedoch, namentlich für das moderne Staats-
leben, zwei Hauptgestaltungen hervor: die des Einheitsstaates
und die der Staatenverbindung.
3. Die Entwicklung des antiken Staatslebens hat sich in
den Städtestaaten vollzogen® Hier war der Staat für jedes
Volk die einzige politische Organisation; es gab kein
Gemeinleben außerhalb des Staates. Zur Entwicklung eines Unter-
schiedes zwischen Staat und anderen politischen Gemeinwesen
bestand daher keinerlei Veranlassung; und es ist ein solcher weder
von den staatsphilosophischen Schriftstellern des Altertums noch
von den römischen Juristen formuliert worden. Im späteren
römischen Reiche bestand allerdings der Gegensatz von imperium
Romanum und municipium; aber die Municipien wurden als künst-
liche Schöpfungen betrachtet, welche ihr Recht vom Staate ab-
leiteten *.
Die mittelalterlichen Juristen wendeten den römischen
Staatsbegriff auf das Reich an, welches nach den damaligen Vor-
stellungen die gesamte Christenheit umfaßte. Sie erkannten aber
an, daß zwischen dem Reiche und den einzelnen Individuen
% Über die Entwicklung des Begriffes des Gemeinwesens und des Staats-
begriffes vgl. namentlich O. Gierke, Genossenschaftsrecht 8 und 4.
* Über die Entwicklung des antiken Staatslebens vgl. R. Schmidt,
Allg. St.L. 2 87 £., 188 ff. (über Municipien und Selbstverwaltung im römischen
Reich 269 #t.), besonders aber Jellinek, Staatsl. 287 ff., dessen Verdienst einmal
in der Aufweisung der großen zeitlichen und örtlichen Verschiedenheiten,
der antiken Stautsbildung, sodann aber und vor allem in der Richtigstellung
der herrschenden, vielfach übertriebenen Vorstellungen über die Allmacht
des hellenischen Staates und die Universalität seines Zweckes beruht. „Der
Staat, welcher in Wahrheit alle Sciten des menschlichen Gemeindaseins in
seinen Bereich gezogen hat, ist der mit unvergleichlich größerer realer Macht
als der hellenische ausgestattete Staat der Gegenwart“ (Staatsl. 311).