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haben, wie ebenso mein Verhalten fehlerhaft ist als ein meinen
Bedürfnissen ohne mein Verschulden nicht gemässes,.
Auf die Unterscheidung eines fehlerlosen und eines fehler-
haften oder eines richtigen und eines unrichtigen Verhaltens be-
zieht sich der Begriff der Norm?. Jenes ist ihr gemäss oder
normal, dieses ihr nicht gemäss oder abnorm, was es in grösse-
rem oder geringerem Umfange sein kann. Wäre, wie manche
annehmen, der Begriff der Norm identisch mit dem Begriffe des
Befehles, so wäre jener Gegensatz identisch mit dem Gegensatze
des (ehorsams und Ungehorsams, was aber weder überhaupt
noch im Gebiete des positiven Rechtes zutrifft. Ein Befehl ist
mir erst dann wirklich zu teil geworden, wenn ich ihn ver-
nommen habe und weder Gehorsam noch Ungehorsanı gegen
ihn ist möglich ohne seine Kenntnis. Sowohl die Normgemäss-
heit als die Normwidrigkeit meines Verhaltens ist aber unab-
hängig davon, ob ich sie kenne und zu kennen vermag. Es kann
der Norm gemäss und zuwider nicht nur sein, ohne dass ich
davon etwas weiss, sondern auch obgleich ich das (Gegenteil
glaube. Den Normen der Sitte verhält sich gemäss oder nicht
gemäss, wessen Verhalten mit ihr übereinstimmt oder nicht,
wenngleich er das Gegenteil glaubt. Ebenso verhalte ich mich
den Normen einer bestimmten Kunst zuwider durch die Beo-
bachtung einer in Verkennung ihres Wesens angenommenen
Kunstregel, dagegen gemäss durch deren unterlassene Be-
folgung, wenngleich ich vielleicht dadurch einen Kunstfehler zu
begehen glaube. Hygienischen Normen lebe ich gemäss durch
ein Verhalten, das meine Gesundheit fördert, während ich das
Gegenteil glaube, und zuwider durch das umgekehrte Verhalten.
Dasselbe gilt von den Rechtsnormen. Ihnen verhält sich gemäss,
wer sich so verhält wie er von Rechtswegen soll oder darf, und
nicht gemäss, wer sich anders verhält, wenngleich er nichts davon
® Vgl. über diesen Begriff auch meine Besprechung von BIERLINGs ju-
ristischer Prinzipienlehre. KrVJSchr. 37 S. 1 fl.