Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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klärt. — Die Berufspflicht besteht lediglich 
darin, daß der Abgeordnete nach seiner besten 
Überzeugung durch seine Beteiligung an den Ge- 
schäften der Repräsentantenversammlung das Beste 
des Staates und das Wohl der Gesamtheit zu 
fördern bestrebt ist. Der Wirkungskreis bestimmt 
sich dabei nach der verfassungsmäßigen Zuständig- 
keit der einzelnen gesetzgebenden Versammlung, 
welcher der Abgeordnete angehört; für diese aber 
weist das Staatsrecht der einzelnen Staaten 
mannigfache Abweichungen auf. Als einzelner 
hat übrigens in dieser Beziehung der Abgeordnete 
staatsrechtlich keine Bedeutung, sondern nur als 
Mitglied der Versammlung. Hier steht es ihm zu 
und ist seine Pflicht, nach Maßgabe der für die 
einzelnen Körperschaften wiederum sehr verschie- 
denen Geschäftsordnungen sich durch Anträge, 
Anfragen, Abstimmungen usw. zu betätigen. In 
diesen Funktionen kann der Abgeordnete, wie das 
in der Natur der Sache liegt, aber in vielen 
Verfassungen auch ausdrücklich hervorgehoben ist 
(Bayern (§ 171, Sachsen [8 81). Württemberg 
(§8 1561, Baden [(§ 471, Hessen (Art. 61), Olden= 
burg (Art. 129, Braunschweig [(§ 133.5, sich nicht 
wieder vertreten lassen; er muß sie vielmehr per- 
sönlich ausüben. Mit Rücksicht darauf, aber auch 
mit Rücksicht auf die den Abgeordneten fast überall 
gewährten Entschädigungen machen es manche 
Verfassungen bzw. Landtagsordnungen den Ab- 
geordneten zur Pflicht, während der Dauer der 
Session nicht ohne Urlaub vom Sitz der Ver- 
sammlung abwesend zu sein; manche Vorschriften, 
gehen darin so weit, einem Abgeordneten, der sich 
dagegen verfehlt, Disziplinierung und unter ge- 
wissen Umständen Ausschluß aus der Kammer an- 
zudrohen (z. Bayern, Gesetz betr. den Geschäfts- 
gang des Landtags vom 19. Jan. 1872 [Art. 26 
bis 28.), Hessen Art. 55)], Osterreich). — Daß nie- 
mandverpflichter ist, das Amt eines Abgeordneten zu 
übernehmen, erscheint ebenso selbstverständlich wie 
die Berechtigung, dasselbe jederzeit niederzulegen; 
doch bestehen auch Ausnahmen von dieser Regel 
(so nach den Gesetzen von Sachsen-Altenburg, 
Hamburg, Schweden, Norwegen, Finland). 
Durch Ablauf der Legislaturperiode oder Auf- 
lösung der Repräsentantenversammlung erreicht es 
ferner sein natürliches Ende. Außerdem findet sich 
als allgemeine Regel ausgesprochen, daß die Ab- 
geordneteneigenschaft erlischt, wenn der Abgeord- 
nete ein besoldetes Staatsamt oder (zuweilen) 
auch ein Hofamt annimmt oder, sofern er be- 
reits Staatsbeamter ist, in ein Amt eintritt, mit 
welchem ein höherer Rang oder ein höheres Ge- 
halt verbunden ist, oder wenn der Abgeordnete eine 
Stellung einzunehmen beginnt, welche mit der eines 
Abgeordneten als unvereinbar gilt. Des öfteren 
kommt es auch zum Ausdruck, und wo solches nicht 
der Fall (wie z. B. für den deutschen Reichstag), 
da ist es nach der herrschenden Ansicht dennoch als 
geltendes Recht anzuerkennen, daß ein Abgeord- 
  
Abgeordneter. 
  
neter, wenn er eine zur Wählbarkeit erforderliche 
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Eigenschaft einbüßt, auch die Mitgliedschaft der 
Versammlung verliert, zu der er gewählt ist. Dar- 
aus würde schon ohne weiteres folgen, daß, soweit 
es sich um deutsche gesetzgebende Körperschaften 
handelt, bei Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte 
der Abgeordnete auch Sitz und Stimme im Par- 
lament verliert; der Satz gilt in Deutschland auch 
kraft positiver Vorschrift, indem 8 33 des Straf- 
gesetzbuchs bestimmt, daß die Aberkennung der 
bürgerlichen Ehrenrechte den dauernden Verlust 
der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten 
hervorgegangenen Rechte bewirkt. Auch in den in 
den 88 81.83. 87. 88. 89. 90 des Strafgesetzbuchs 
bezeichneten Fällen des Hochverrats oder Landes- 
verratskann auf Verlustder aus öffentlichen Wahlen 
hervorgegangenen Rechte erkannt werden. Die Ver- 
weigerung des vorher erwähnten Eides schließt 
z. B. in Preußen und Osterreich die Befugnis aus, 
den Sitz im Parlament einzunehmen. Einzelne 
deutsche Bundesstaaten kennen noch den schon er- 
wähnten Verlust wegen unentschuldigten mehr- 
maligen Fehlens in den Sitzungen; so schreiben 
die oben bezeichneten Artikel des bayrischen Gesetzes 
vor, daß, wenn bei Abstimmungen die erforderliche 
Zahl von Abgeordneten nicht anwesend ist, die Ab- 
wesenden gegen Bescheinigung geladen und beim 
Ausbleiben auf die dritte Ladung als ausgeschieden 
betrachtet werden sollen; ähnlich Hessen, auch 
Oldenburg. Die Verfassung des letzteren (Art. 122) 
sowie Waldecks (§69) und ein Gesetz vom 22. Nov. 
1851 (821) für Braunschweig lassen auch eine Aus- 
schließung eines Mitglieds auf Grund der Ge- 
schäftsordnung zu. Nach der Landtagsordnung 
für Finland von 1869 kann ein Abgeordneter 
wegen Versäumnis, sich beim Landtag einzufin- 
den, und wegen unberechtigten Ausbleibens von 
den Sitzungen von seinem Stand zu entsprechen- 
dem Verlust der Unterhaltsgelder und auch zu 
Geldbuße verurteilt werden. Die Verfassungen des 
Deutschen Reichs und von Preußen erkennen zwar 
auch die Notwendigkeit eines Urlaubs für den Ab- 
geordneten an, wenn er sich von den Sitzungen 
fernhalten will, sie knüpfen aber keine nachhaltigen 
Folgen an die Versäumnis ohne Urlaub. In 
zweifelhaften Fällen entscheidet die Repräsentanten- 
versammlung, ob die Mitgliedschaft als erloschen 
zu betrachten ist oder nicht. 
IV. Rechtsschutz der Abgeordnetenstellung. 
Zum Schutz der Freiheit, Unabhängigkeit und 
Unbefangenheit des Abgeordneten in Ausübung 
seines Berufs sind in allen konstitutionellen Staaten 
Garantien aufgestellt, die, wie noch näher dar- 
gelegt werden wird, Sicherheit gegen Eingriffe 
der Regierungsgewalt und der Strafjustiz und 
gegen eine daraus zu befürchtende Beschränkung 
der Abgeordnetentätigkeit — Immunität der 
Abgeordneten — gewährleisten sollen. 
1. Persönlicher Rechtsschutz. Schon 
sehr frühzeitig wurde in England den zu und 
von des Königs Rat Ziehenden ein besonderer 
persönlicher Schutz gewährt. In der schwedischen,
	        
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