Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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nomischen Liberalismus und unter dem Drucke der 
ungestümen Forderungen der Zeit gab man dem 
Bauern die persönliche und wirtschaftliche Freiheit 
und überließ ihn dann dem „Spiel der freien 
Kräfte“, obwohl er, zur Selbständigkeit nicht er- 
zogen, einer zielbewußten Führung nicht entraten 
konnte. Mit den Lasten hatte man auch die sozia- 
len und wirtschaftlichen Stützpunkte weggenom- 
men, welche ihm in dem grundherrlichen Verband 
zur Seite standen. Der moderne Staat konnte 
zunächst das Verlorene nicht ergänzen. So geriet 
die Landwirtschaft alsbald in eine bedenkliche Ab- 
hängigkeit vom Kapital. Diesen Zuständen gegen- 
über durfte man nicht länger die Hände müßig in 
den Schoß legen. Staat und Gesellschaft wurden 
sich denn auch bald ihrer Aufgabe bewußt und 
suchten nach Mitteln zur Behebung des übels, 
Theorie und Praxis beschäftigten sich eifrig mit 
den auftauchenden wirtschaftlichen Problemen. 
Vgl. darüber Art. Agrargesetzgebung, Agrarpoli- 
tik Abschn. VII (Bd I, Sp. 142 ff); Bauernstand 
Abschn. III u. IV (Bd I. Sp. 614 ff). 
Literatur. Duncker, Die Lehre von den Real- 
lasten (1837); Renaud, Beitrag zur Theorie der 
Reallasten (1846); Gerber, Zur Theorie der Real- 
lasten, in Jahrbücher für Dogmatik II (1858) u. 
VI (1863), auch in Ges. Abhandlungen (213 ff); 
v. Schwind, Die Reallastfrage, in Iherings Jahr- 
bücher Bd 33 (1894); Pflügge, liber die rechtliche 
Natur der Reallasten, in Archiv für zivilist. Praxis 
Bd 81 (1893); Hübner, Grundzüge des deutschen 
Privatrechts (1908) 346 ff. — Arnold, Zur Gesch. 
d. Eigentums in d. deutschen Städten (1861); Gob- 
bers, Die Erbleihe u. ihr Verhältnis zum Renten- 
kauf im mittelalterl. Köln des 12./14. Jahrh. — 
Wenz, Deutsches Immobiliar= u. Hypothekenrecht 
(1906); Hallbauer, Hypothekenrecht des B.G.B. 
(21908); G. Brinck, Bezahlung der Hypotheken- 
forderung u. der Grundschuld (1907).— Rodbertus- 
Jagetzow, Zur Erklärung u. Abhilfe der heutigen 
Kreditnot des Grundbesitzes (2 Bde, 1868); Buchen- 
berger, Agrarwesen u. Agrarpolitik II (1893); Frhr 
v. d. Goltz, Agrarwesen u. Agrarpolitik (21904). 
lSchweyer, rev. Sacher.) 
Grundrechte s. Staatsverfassung. 
Grundrente. lBegriff und Entstehung; 
die verschiedenen Arten; Berechtigung des Grund- 
renteneinkommens, soziale Folgerungen.) 
1. Begriff und Entstehung. Die drei 
zu jeder Produktion erforderlichen Faktoren sind 
Grund und Boden, Kapital, Arbeit. Der gesamte 
Reinertrag ist daher auf diese Faktoren zurückzu- 
führen. Der Teil des Reinertrags nun, der ledig- 
lich dem Produktionsfaktor Grund und Boden 
und seinen Eigentümlichkeiten zu verdanken ist, 
heißt Grundrente im engeren Sinne. Im gewöhn- 
lichen Sprachgebrauch versteht man allerdings 
unter Grundrente den gesamten Reinertrag aus 
Grund und Boden, mit Einschluß des Ertrags 
aus den zur Bodenbewirtschaftung ausgewandten 
Kapitalien; so bezeichnet man in der Regel die 
Pacht, die der Grundbesitzer bezieht, als Grund- 
Grundrechte — Grundrente. 
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rente, obwohl in der Pacht auch die Entschädigung 
für die vom Grundbesitzer überlassenen Wirt- 
schaftsgebäude, Inventarstücke, Meliorationen usw. 
enthalten ist. 
Solange der Boden im Überfluß vorhanden 
ist, hat er, wie alle freien Güter, keinen besondern 
Wert und wird auch keinen besondern Ertrag ein- 
bringen. Erst wenn der Boden anfängt, seltener 
zu werden, d. h. wenn der zur Verfügung stehende 
Boden nicht mehr im Verhältnis zum Begehr 
steht, wird er eine Rente tragen. Man wird sich 
daher die Entstehung der Grundrente in folgender 
Weise mit dem Begründer der Grundrententheorie, 
David Ricardo, vorstellen können. 
In einem Lande beginnender Kultur werden 
die Ansiedler naturgemäß zunächst den frucht- 
barsten Boden in Besitz nehmen und bebauen. 
Mit wachsender Bevölkerung und steigender Nach- 
frage nach Lebensmitteln aber wird man not- 
gedrungen auch den Boden von geringerer Quali- 
tät, den Boden zweiter Klasse, in Kultur nehmen. 
Die Produktionskosten bei der Bewirtschaftung des 
weniger fruchtbaren Bodens werden nun höhere 
sein, infolgedessen steigen auch die Marktpreise für 
die Bodenprodukte. Der Aufwand von Kapital 
und Arbeit auf dem Boden erster Klasse ist in- 
dessen derselbe geblieben, die Besitzer erhalten aber 
nichtsdestoweniger für ihre Produkte höhere Preise, 
die sich bemessen nach den für den minderwertigen 
Boden# erforderlichen Produktionskosten. Die Stei- 
gerung des Reinertrags für die Besitzer des erst- 
klassigen Bodens ist daher gleich der Differenz 
zwischen dem früheren und dem jetzigen Preise der 
Bodenprodukte. Dieser Reinertragsteil kann nicht 
dem Arbeits= oder Kapitalaufwande zugerechnet 
werden, da dieser ja derselbe geblieben ist, sondern 
ist ausschließlich der höheren Fruchtbarkeit des 
Bodens zuzuschreiben, und heißt darum mit Recht 
Grund= oder Bodenrente. Bei weiter steigender 
Nachfrage infolge der wachsenden Bevölkerung 
wird man zu noch geringerer Bodenqualität, zum 
Bodendritter Klasse, greifen, dessen Bewirtschaftung 
noch höhere Kosten erfordert und die Marktpreise 
abermals in die Höhe treiben wird. Jetzt trägt 
auch der Boden zweiter Klasse eine Rente, deren 
Höhe dem Unterschied in den Erträgen der beiden 
letzten Bodenklassen gleichtommt, während die 
Rente der ersten Bodenklasse um die Rente der 
zweiten wächst. Und so wird weiter auf den nach 
und nach kultivierten Bodenarten eine Grundrente 
entstehen, nur nicht auf dem zuletzt in Anbau ge- 
nommenen Boden, dessen Ertrag lediglich den 
Kapital= und Arbeitsaufwand ersetzt; die Pro- 
duktionskosten für den letzten Boden sind die höch- 
steen und bestimmen den Marktpreis; je höher der- 
selbe ist, um so ergiebiger ist die Grundrente der 
früher kultivierten, besseren Böden. Die Höhe der 
Grundrente jedes Bodens ist daher gleich der Dif- 
ferenz in seinem Ertrage und dem des schlechtesten 
zur Deckung der Marktbedürfnisse noch heran- 
gezogenen Bodens. 
 
	        
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