Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

967 
mit einem Bruchteil (/10). Durch die Steuer- 
einschätzung hat ferner das Liegenschaftsvermögen 
infolge der allgemeinen Steigerung der Grund- 
stück= und Gebäudewerte eine durchschnittliche 
höhere Belastung von mehr als 100% erfahren. 
Diese Steuerpolitik wird folgendermaßen zu recht- 
fertigen gesucht. 
Die Gemeinde sei vorzugsweise ein wirtschaft- 
licher Verband, dessen gesamte Tätigkeit zur He- 
bung wirtschaftlicher und sozialer Interessen, zur 
Verschönerung der Umgebung, zur Ergreifung 
aller die Annehmlichkeit des Aufenthalts der Be- 
wohner erhöhenden Maßnahmen vorwiegend den 
Grund= und Hausbesitzern und den Gewerbe- 
treibenden zugute komme. Die Wirkungen der 
Gemeindetätigkeit begründeten eine Wertzunahme 
des Grund und Bodens und der Gebäude sowie 
eine gesteigerte Ergiebigkeit des Gewerbebetriebes 
innerhalb der Gemarkungen und rechtfertigten es 
daher, die hier angelegten Vermögenswerte stärker 
zur Gemeindebesteuerung heranzuziehen als das 
Einkommen und den Kapitalbesitz. Diese Wert- 
zunahme mache sich geltend ohne Rücksicht darauf, 
ob der Grund= und Häuserbesitz verschuldet sei 
oder nicht. Ein Schuldenabzug könnte, wenn in 
einer Gemeinde Liegenschaften, Häuser und ge- 
werbliche Unternehmungen mit solchen Schulden 
belastet wären, zur Folge haben, daß der Umlage- 
fuß bis zu einer erdrückenden Höhe ansteigen 
würde und die Minderheit der wenig oder gar 
nicht verschuldeten Steuerpflichtigen in unbilliger 
Weise zugunsten derer, die infolge ihres Besitzes doch 
auch ein wesentliches Interesse an der Bestreitung 
des Gemeindeaufwands hätten, belastet würden. 
Ahnliche Gesichtspunkte, wie sie die neue badische 
Steuergesetzgebung vertritt, sind auch in der zurzeit 
(1909) in Bayern gleichzeitig mit der Steuer- 
reform in Aussicht genommenen Umgestaltung des 
Gemeindefinanzwesens zum Ausdruck gebracht. 
Guatemala — Haftpflicht. 
  
968 
Vorkämpfer für ein mehr soziales Bodenrecht 
werden diese Steuerpolitik im Prinzip sympathisch 
begrüßen, da sie ohne Zweifel die private Boden- 
spekulation erschwert und gerade die Kreise zu den 
Kommnnalabgaben heranzieht, welche aus dem 
allseitigen Aufschwung einer Gemeinde den größ- 
ten Vorteil ziehen. Dabei darf allerdings der 
Bogen nicht zu scharf gespannt, nicht die Existenz 
zahlreicher Grund= und Hausbesitzerkreise durch 
zu hohe Einschätzungen gefährdet werden. 
Literatur. Die Werke über Finanzwissenschaft 
von Stein, Rau-Wagner, Umpfenbach, Roscher, 
Leroy-Beaulieu, Cohn, Eheberg, v. Heckel; ferner 
Schönberg, Handbuch der polit. Okonomie III 
((1898), u. die betr. Artikel im Handwörterbuch 
der Staatswissenschaften (31908 ff), im Wörterbuch 
der Volkswirtschaft (21906/07), im Österr. Staats- 
wörterbuch (21905,09). — Mascher, Grundsteuer- 
regulierung in Preußen (1862); Kleinwächter, 
Zwei steuertheoretische Fragen, Schanz' Finanz- 
Archiv 1886; Gneist, Das engl. Grundsteuer- 
system (1859); Buckeley, Die bayr. Grundsteuer 
in ihrer Wirkung (Zentralstelle der bayr. Bauern- 
vereine, 1908); H. Weber, Die Besteuerung des 
Waldes (1909). — Sodowsky, Besteuerung der 
Gebäude (Riga 1892); Wocke, Über Häusersteuer 
mit bes. Rücksicht auf Bayern (Zeitschr. für Staats- 
wissenschaft 1875); Mirbach, Reform der österr. 
Hauszinssteuer (Zeitschr. für Volkswirtschaft, Ge- 
setzgebung u. Verwaltung 1903). — Zur Frage 
der Gemeindebesteuerung in Preußen (Zeitschr. des 
Preuß. Statist. Landesamts 1904, 192 ff); 
v. Kaufmann, Kommunalfinanzen (2 Bde, 1906); 
Damaschke, Aufgaben der Gemeindepolitik (51904); 
Ehrler, Die neue Vermögenssteuer u. die Gemeinde- 
steuerreform in Baden (Jahrbücher für National- 
ökonomie u. Statistik 190S8 11 59 ffr. 
[I—II v. Huene, rev. Sacher; III Sacher.] 
Guatemala s. Zentralamerika. 
Guttemplerorden fs. Gesellschaften, ge- 
heime; Trunksuchtsbekämpfung. 
H. 
Haager Friedenskonferenzen s. Frie- 
den, ewiger (Sp. 345). 
Haftpflicht. I. Haftpflicht bei gewerb- 
lichen Anfällen. A. Von der gewerblichen 
Haftpflicht überhaupt. 1. Der Haftpflicht- 
begriff im weiteren Sinne. Die Ent- 
wicklung der Industrie mit ihrem Maschinen- 
und Fabrikbetrieb hat für die Gesetzgebung eine 
Reihe von Aufgaben geschaffen, deren gemein- 
sames Ziel das Wohl des neuen, durch die Indu- 
strie bedingten Standes der gewerblichen Arbeiter 
ist. Sowohl die Grundsätze des Christentums 
und der Menschlichkeit wie die Anforderung einer 
gesunden Sozialpolitik verlangen für ihn um so 
mehr eine erhöhte Fürsorge, je mehr er als der an 
wirtschaftlichen wie geistigen Mitteln Schwächere 
  
erscheint. Bis vor wenigen Jahrzehnten nahm 
unter den Bestrebungen zur Hebung der wirt- 
schaftlichen Lage der Arbeiter in erster Linie die 
Reglung der sog. Haftpflichtfrage das öffent- 
liche Interesse in Anspruch. Wer soll den Arbeiter 
für die in seinem Berufe erlittenen Verletzungen 
entschädigen? Wer soll seine Angehörigen unter- 
halten, wenn diese infolge eines gewerblichen Un- 
falls ihren Ernährer verloren haben? Wie hoch 
soll diese Entschädigung bemessen, wie soll sie er- 
mittelt werden? Wer soll die Beweislast für die 
bei dem Unfall rechtlich in Betracht kommenden 
Umstände tragen? Das sind die Kernpunkte der 
Haftpflicht im weiteren Sinne. 
2. Entstehungsgründe. Mit dem Grundsatz 
des alten Zivilrechts, das eine Entschädigung nur
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.