Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

Eltern, Elterngewalt. Eltern im phy- 
sischen Sinn sind diejenigen, die einer Person durch 
Erzeugung das leibliche Leben schenken. Durch die 
Tatsache der Erzeugung werden gegenseitige sitt- 
liche Pflichten zwischen Eltern und Kindern und 
das rechtliche Verhältnis der Elterngewalt über 
die Kinder begründet. Mit Rücksicht auf die schwer- 
wiegenden Folgen für die ganze menschliche Gesell- 
schaft hat Sitte und Recht von jeher die Erzeugung 
von Kindern an die Form der Ehe (s. d. Art.) 
geknüpft. Die Kinder werden danach unterschieden 
in eheliche und uneheliche, je nachdem sie in einer 
rechtmäßigen Ehe oder im Ehebruch oder im ledigen 
Stand erzeugt sind. Die Unterscheidung ist sach- 
lich berechtigt, einmal, weil eine Verletzung des 
natürlichen und göttlichen Sittengesetzes bei der 
Zeugung seine Spuren an den Kindern zurückläßt, 
und dann, weil die Erziehung und Stellung der 
Kinder innerhalb oder außerhalb der Familie von 
den tiefstgreifenden Folgen für ihr künftiges Leben 
ist. Daran würde auch eine Umgestaltung der 
bestehenden sittlichen Anschauungen, wie sie von 
gewisser Seite angestrebt wird, nichts ändern; 
höchstens würden durch Zerstörung des Familien- 
lebens die ehelichen Kinder dem Schicksal der un- 
ehelichen anheimfallen. 
I. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern 
ist in seinem Kern ein ethisches und besteht in 
Pflichten der Eltern gegen die Kinder und in 
Pflichten der Kinder gegen die Eltern. Die Pflich- 
ten der Eltern gegen die Kinder werden zusammen- 
gefaßt unter dem Begriff der leiblichen und geistigen 
Erziehung. Bezüglich der Erziehung im engeren 
Sinn s. d. Art. Wir fassen aber in diese Pflicht 
ein jene ganze Lebensrichtung der Eltern, die sie 
bei der Absicht, Kinder zu erzeugen, einhalten 
müssen. Wenn Erfahrung und Naturwissenschaft 
uns darlegen, welch großen Einfluß die körperlich- 
sittliche Beschaffenheit der Eltern auf die Kinder 
hat, und wenn die Menschen imstande sind, diese 
ihre körperlich-sittliche Beschaffenheit durch frei- 
gewollte Tätigkeit und Lebensführung zu beein- 
flussen, so entspringt daraus die schwere Pflicht 
der Eltern, alles, was in ihren Kräften steht, zu 
tun, um ihrerseits einen günstigen körperlichen und 
geistigen Einfluß auszuüben auf die zu erzeugenden 
Kinder. Ist es doch geradezu erbärmlich, wenn 
man sieht, wie heutzutage auf Grund der besseren 
Naturerkenntnis alles mögliche getan wird zur 
Veredlung des Zuchtviehs. Wo es sich aber um 
*. Heranbildung von Menschen handelt, da 
ct seitens vieler Eltern meist nicht das ge- 
ie Verantwortungsgefühl. Dieses zu heben 
ist eine der wichtigsten Aufgaben. Denn durch 
eine größere Beachtung der zugrunde liegenden 
Staatslexikon. II. 3. Aufl. 
  
Naturgesetze würde die nachfolgende Sorge um 
Heranbildung der Kinder am erfolgreichsten unter- 
stützt. Die Kinder dürfen eben nicht als leidige 
Dreingabe des ehelichen Lebens betrachtet, sondern 
müssen als einer seiner Hauptzwecke gewollt werden. 
Eine weitere, heutzutage oft vernachlässigte Pflicht 
ist es, dem neugebornen Kind die Muttermilch zu 
reichen, falls dies nicht unmöglich ist. Denn mit 
gutem Grund wird die große Kindersterblichkeit 
teilweise auch darauf zurückgeführt, daß so wenig 
Mütter noch ihre natürliche Pflicht erfüllen, und 
zwar vielfach aus eitlen Vorwänden. So z. B. 
herrscht die Vorstellung, als ob durch Erfüllung 
dieser Pflicht Gesundheit und Jugendkraft des 
Weibes leiden würden, was selbstverständlich bei 
normalen Verhältnissen durchaus unwahr ist. 
Die Kinderpflege durch die Mutter kann eigent- 
lich auch nicht ersetzt und der Mutter abgenommen 
werden etwa durch Anstalten wie Krippen, Findel- 
häuser und Waisenhäuser. Solche Anstalten sind 
nur schwache Notbehelfe. 
Die leibliche Erziehung umfaßt alle Sorgen für 
das Leben, den Lebensunterhalt und die Lebens- 
stellung des Kindes; die geistige Erziehung hat 
die intellektuelle und sittlich-religiöse Ausbildung 
zum Ziel. In diese Sorgen haben sich Vater und 
Mutter zu teilen. 
Gegenüber diesen Elternpflichten steht das Recht 
auf die Kindespflicht der Pietät, die in sich Ehr- 
furcht, Liebe und Gehorsam schließt. Diese Kindes- 
pflicht ist nicht bloß ein Naturgesetz, sondern zugleich 
ein göttliches Gebot (2 Mos. 20, 12; 5 Mos. 5, 16; 
vgl. Tob. 4, 3; Sir. 3, 3. 5—8 7, 29; Matth. 
15, 4; 19, 19; Mark. 7, 10; Eph. 6, 1—3; 
Kol. 3, 20). Die Pietät gebührt den Eltern wegen 
der ihnen von Gott unmittelbar verliehenen Au- 
torität über ihre Kinder. Sie kommt nicht bloß 
dem Vater, sondern in gleicher Weise auch der 
Mutter zu, wennschon dem Vater wegen der Ord- 
nung und Einheit der Familie die oberste Ent- 
scheidung zusteht. Die Ehrfurcht der Kinder gegen 
ihre Eltern ist die naturgemäße Außerung und 
Anerkennung der Abhängigkeit von den Eltern im 
Leben, Lebensunterhalt und Lebensstellung. Die 
Ehrfurcht gegen die Eltern ist ein Abglanz der 
religiösen Ehrfurcht gegen Gott. Die Liebe gegen 
die Eltern ist ein Ausfluß der kindlichen Erkennt- 
lichkeit für das, was das Kind alles den Eltern 
verdankt. Sie muß sich selbstverständlich in der 
Gesinnung wie in der Tat zeigen dadurch, daß die 
Kinder von den Eltern geistige und leibliche Not 
nach Kräften fernhalten und jedenfalls sie in jeder 
Not nach Kräften unterstützen. Die Pflicht des 
Gehorsams entspricht der elterlichen Autorität und 
erstreckt sich auf alle Dinge, die der Elterngewalt 
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