Erster Teil.
A. Historischer Entwicklungsgang.
8S1.
Der deutsche Bund.
Als ein Ergebnis der auf dem Wiener Kongresse gepflogenen Be-
ratungen war der deutsche Bund in das Leben getreten. In den Bundes-
verträgen von 1815 und 1820 hatten sich die deutschen Staaten ver-
pflichtet, gemeinsam die innere und äußere Sicherheit Deutschlands zu
wahren und zu schützen und die in den Verträgen bestimmten gemein-
samen Interessen aller Staaten zu fördern. Aber der deutsche Bund
erwies sich als unfähig, dem deutschen Volke die nationale Einheit und
die politische Freiheit zu geben, auf welche das deutsche Volk Anspruch
erheben mußte und auch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer unge-
stümer erhob. ·
Auf den Trümmern des heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation waren zwei europäische Großmächte erwachsen. Sie hatten
wichtige politische Interessen gemeinsam, aber jede von ihnen, Oester—
reich wie Preußen, wurden mit geschichtlicher Notwendigkeit dazu ge-
drängt, nach der Vorherrschaft in Deutschland zu streben. Die Sturm-
und Drangperiode des Jahres 1848 rüttelte zwar bedenklich an den
Grundfesten des Bundes, aber noch war nicht die Zeit der nationalen
Wiedergeburt gekommen. Am 14. Juni 1866 erklärte der preußische
Gesandte in der Bundesversammlung zu Frankfurt a. M. im Namen
seines Königs, daß durch den Beschluß des Bundestages, durch welchen
die Mobilmachung einiger Armeekorps angeordnet wurde, um gegen
Preußen mit Waffengewalt vorzugehen, die Bundesverträge gebrochen
und damit der deutsche Bund, der seit 1815 ein kümmerliches Dasein
gefristet hatte, erloschen sei.
Dieser Erklärung schlossen sich die norddeutschen und meisten
mitteldeutschen Staaten an. Der Widerstand Oesterreichs und der mit
ihm verbündeten Mittel= und Kleinstaaten in Oüd= und Westdeutschland
mußte mit Waffengewalt gebrochen werden. Die Schlacht bei Königs-
grätz entschied zugunsten Preußens. Im Frieden von Nicholsburg
wurde die Auflösung des deutschen Bundes vertraglich anerkannt.
Durch die Auflösung des Bundes waren alle Staaten der ver-
tragsmäßigen Verpflichtungen, die sie durch Abschluß der Bundesverträge
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