152 DIE UNGESCHICKTEN
schwere Kriege geführt haben, wünschte unser Volk nichts anderes als,
fern von jeder Eroberungslust und allen abenteuerlichen Plänen, das spät,
das endlich geeinigte Vaterland in friedlicher, fleißiger und ruhiger Arbeit
auszubauen. Kaiser Wilhelm II. war in keiner Weise kriegslustig. Er war
kriegsscheu. Seine kriegerisch anmutenden Marginalien beweisen nichts.
Mit solchen törichten Renommistereien wollte er den Geheimräten im Aus-
wärtigen Amt imponieren, wie er mit seinen drohenden oder prahlerischen
Reden im Auslande den Eindruck hervorzurufen wünschte, daß er ein
zweiter Friedrich der Große oder Napoleon I. wäre. Niemand hat wohl
öfter und intimer als ich Gelegenheit gehabt, mit Wilhelm II. das Problem
des Krieges zu erörtern, zum Teil in Situationen, die, wie in der Marokko-
Frage und während der bosnischen Krisis, dieses Problem aktuell er-
scheinen ließen. Ich darf daher Glauben für meine Behauptung in An-
spruch nehmen, daß Wilhelm II. niemals den Krieg gewollt hat, schon weil
er fühlte, daß seine Nerven ernsten, wirklich kritischen Situationen nicht
gewachsen waren. Sobald die Gefahr eines großen Krieges greifbar vor ihn
trat, fühlte er, daß er trotz dem Marschallstab, den er in der Hand zu tragen
liebte, trotz aller Schnüre und Orden, mit denen er sich gern zierte, trotz
der Scheinsiege, die er auf dem Manöverfeld und beim Kriegsspiel dank der
Konnivenz der Schiedsrichter erfochten hatte, ganz außerstande war, auf
dem Schlachtfelde zu führen. Er kannte sehr wohl die Schwäche seiner
Nerven. Er wußte, daß er so wenig ein Feldherr war, wie er, trotz seiner
Passion für die Marine, fähig gewesen wäre, auf dem Meere ein Geschwader
oder auch nur einen Kreuzer zu führen. Aber auch Bethmann und Jagow
haben den Krieg nicht gewollt.
Ein ausgezeichneter französischer Historiker, Albert Sorel, Verfasser des
schönen Werkes „L’Europe et la Revolution Frangaise“ schrieb, als er sich
mit den Vorarbeiten für ein anderes Buch: „Histoire diplomatique de la
guerre franco-allemande“, beschäftigte, an seine Mutter: „J’ai cherche
consciencieusement, j’ai cherche avec passion les causes de nos malheurs
de 1870, et je suis arrive a cette conclusion: Ce qui alora manquait surtout
chez nous ce fut l’habilite.““ Im Sommer 1914 galt das für die deutsche
Politik. Sie lieferte den Beweis dafür, daß der große Michel Montaigne recht
hat, wenn er in seinen „Essais“‘ sagt, que tous les maux de ce monde
viennent de l’änerie, daß an allem Elend dieser Welt die Eselei die Haupt-
schuld trägt. Die von den damaligen Leitern der deutschen Politik began-
genen Fehler sind groß und zahlreich. Wohl ihr größter war, daß die Vor-
bereitung des Ultimatums und die diplomatische Behandlung der durch
dieses Ultimatum hervorgerufenen Krisis in der Dunkelkammer vor sich
gingen. In diesem schicksalsschwersten Augenblick der neueren, wenn nicht
der ganzen deutschen Geschichte lag die Leitung der deutschen Geschicke