Full text: Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.

Erwerb für einen Deutschen durch Aufnahme. 8 7. 55 
nicht als ein Akt der Armenpflege zu betrachten (vgl. Erlaß des preuß. Min. 
d. J. vom 21. April 1868, MBl. S. 209). 
b) Ein für die Familie eines neu Angezogenen eintretendes Bedürfnis 
der Armenpflege, wenn dasselbe nicht durch die körperliche Arbeitsunfähigkeit 
des Familienhauptes, sondern durch eine auf längere oder kürzere Zeit ver- 
hängte Strafhaft hervorgerufen worden ist, reicht nicht aus, um den Begriff 
des Zustandes der Verarmung zu konstatieren, welchen das Gesetz als Vor- 
bedingung der Befugnis der Gemeinde zur Wiederausweisung hinstellt, da die 
Wiederausweisungsbefugnis nur an den durch dauernde gualitative Arbeits- 
unfähigkeit des Familienhauptes veranlaßten Eintritt der Armenpflege ge- 
knüpft, über solche Fälle aber, in denen weder eine dauernde noch eine vorüber- 
gehende Arbeitsunfähigkeit vorliegt, gar nicht disponiert worden ist (s. Erlaß 
des preuß. Min. d. J. vom 29. Juli 1869, MBl. S. 268). 
c) Aus dem Umstande, daß einer Frauensperson, welcher die nachgesuchte 
Niederlassung gestattet worden, eine Extraunterstützung gewährt und die Unter- 
bringung behufs Abhaltung ihrer Niederkunft in ein Hospital erfolgt ist, kann 
die Zulässigkeit ihrer Wiederausweisung nicht gefolgert werden, sondern es ist 
in einem solchen Falle nur eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit anzunehmen 
(s. Erlaß des preuß. Min. d. J. vom 27. Juli 1871, Ml. S. 249). 
Die Befugnis der Gemeinden zur Abweisung neu Anziehender hat ferner 
durch den § 56 des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz vom 30. Mai 1908 
(Anhang, Anl. Nr. 5) in folgenden Punkten eine Beschränkung erfahren. 
Nach dem Wortlaute dieses Paragraphen kann auch bei nicht erreichter 
Einigung — der zur Entscheidung in der Sache berufenen Armenverbände — 
das Verbleiben der auszuweisenden Person oder Familie in dem 
Aufenthaltsorte gegen Festsetzung eines von dem verpflichteten Armen- 
verbande zu zahlenden Unterstützungsbetrages durch die zur Entscheidung in 
erster Instanz zuständige Behörde des Ortsarmenverbandes des Aufenthalts- 
ortes angeordnet werden: 
1. wenn mit der Ausweisung Gefahr für Leben oder Gesundheit des 
Auszuweisenden oder seiner Angehörigen verbunden sein würde, oder 
2. wenn die Ursache der Erwerbs= oder Arbeitsunfähigkeit des Aus- 
zuweisenden durch eine im Bundeskriegsdienste oder bei Gelegenheit einer Tat 
persönlicher Selbstaufopferung erlittene Verwundung oder Krankheit herbei- 
ge führt ist, oder endlich 
8. wenn sonst die Wegweisung vom Aufenthaltsorte mit erheblichen 
Härten oder Nachteilen für den Auszuweisenden verbunden sein sollte. 
In allen den vorerwähnten Fällen gilt jedoch für die Entscheidung der 
Frage der Aufnahme in einen anderen Bundesstaat das am Schluß der vor- 
hergehenden Anmerkung 10e Gesagte, nämlich: sind die Kriterien vorhanden, 
aus welchen die Berechtigung zur Ausweisung einer neu angezogenen Person 
oder Familie hergeleitet zu werden vermag, so kann deren Aufnahme verweigert 
werden, wenn auch die Ausweisung aus Humanitätsrücksichten zu unter- 
bleiben hat. 
§ 7.
	        
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