Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Zweiter Jahrgang. 1874. (2)

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Zu B. 
Der Armenverband der Stadt Schievelbein hat die dort nicht Unterstützungswohnsitz-Berechtigte, hülfs- 
bedürftig gewordene Familie des Schmieds R. unterstützen müssen. Der R., welcher ursprünglich unstreitig seinen 
Unterstützungswohnsitz in der bäuerlichen Gemeinde Schloenwitz gehabt hatte, war am 31. März 1869 in den 
Gutsbezirk eines der vier Rittergüter Schloenwitz verzogen und hatte innerhalb desselben in einem ihm von dem 
Gutsbesitzer P. vermietheten Hause bis zum 28. März 1870 gewohnt, diese Wohnung an diesem Tage mit seiner 
Familie verlassen und war, weil er sich in obdachlosem Zustande befand, mit seinen Effekten im Spritzenhause 
durch den Polizeiverwalter untergebracht worden. Hier verblieb er etwa 14 Tage, während seine Familie in 
einem Stalle des Gutes ein vorläufiges Unterkommen fand. Da er auch jetzt eine Wohnung nicht finden 
konnte, so nahm der Prediger zu Schloenwitz nunmehr die obdachlose Familie in das zur Pfarre gehörige 
Backhaus auf, in welchem sie bis zu ihrem am 1. Oktober 1871 erfolgten Umzuge nach Schievelbein verblieb. 
An letzterem Orte wurde sie noch im folgenden Winter hülfsbedürftig. Der Besitzer des betreffenden Ritterguts 
Schloenwitz ist von der Kreisbehörde angehalten worden, dem Armenverbande Schievelbeln die gehabten Aus- 
lagen zu zahlen, und ist gegen den bäuerlichen Ortsarmenverband Schloenwitz auf Erstattung derselben klagbar 
geworden. 
Die Pommersche Deputation für das Heimathwesen hat die Klage abgewiesen, indem sie thatsächlich 
festgestellt, daß das Spritzenhaus, in welchem sich R. vom 28. März 1870 an 14 Tage lang ausgehalten hat, 
zum Gutsbezirk gehört, und demgemäß ausführte, daß die Annahme des R. als Schmied durch den Guts- 
besitzer P. als Inhaber der Pollizeiobrigkeit der polizeilichen Anmeldung gleichzustellen sei, und R. sonach mit 
polizeilicher Meldung länger als ein Jahr im Gutsbezirke gewohnt habe. 
In der Instanz beim Bundesamte wurde vom Kläger namentlich bestritten, daß dem Erfordernisse 
einer Anmeldung im Sinne des §. 8. des Ges. vom 31. Dezember 1842 über die Aufnahme neu anziehender 
Personen genüge geleistet sei. 
Dagegen wurde vom Verklagten behauptet, der N. habe jedenfalls durch 2 jährigen ununterbrochenen 
Aufenthalt nach Maßgabe des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 den Unterstützungswohnsitz im Gutsbezirk erworben, 
indem auch das Backhaus der Pfarre, in welchem N. bis zum 1. Oktober 1871 Aufnahme gefunden habe, inner- 
halb des Bezirks des Gutsarmenverbandes belegen sei. 
Ueber letztere Behauptung, welche vom Kläger bestritten wurde, veranlaßte das Bundesamt zunächst eine 
Beweisaufnahme, und verurtheilte sodann, unter Abänderung des ersten Erkennmisses am 13. April 1874 den 
verklagten bäuerlichen Ortsarmenverband zur Erstattung der vom Kläger ausgelegten Verpflegungskosten. 
Die Gründe dieser Entscheidung, soweit sie hier in Betracht kommen, lauten: 
Von dem Erwerbe eines Hülfsdomizils im Gutsarmenverbande durch einjähriges Wohnen nach 
Anmeldung bei der Ortspollzeibehörde kann schon deshalb die Rede nicht sein, weil es jedenfalls an 
einer dem §. 8. des allegirten Gesetzes vom 31. Dezember 1842 entsprechenden polizeilichen An- 
meldung gefehlt hat. Der erste Richter hat zwar angenommen, daß diese Anmeldung durch die eigene 
Annahme des N seitens des Rittergutsbesitzers P. als Inhaber der Polizeiobrigkeit ersetzt werde. Hierbei 
ist aber übersehen, daß, wie der als Zeuge in erster Instanz eidlich vernommene Rentier E. bekundet hat, 
er während der Zeit von Juni 1868 bis Ende des Jahres 1870 Polizeiverwalter über die 4 Güter 
Schloenwitz und das Dorf gewesen ist, nachdem er als solcher vom Landrath verpflichtet worden. 
Der Verklagte hat auch die vom Kläger in dieser Instanz ausgestellte Behauptung nicht bestritten, 
daß während der gedachten Zeit unter Suspension der Befugnisse der Gutsantheilsbesitzer, zu welchen 
der Kläger gehört, die Polizeiverwaltung über sämmtliche Gutsantheile und zwar bis zum 1. Juli 
1870 dem Rentier E., von da ab und bis zum 1. Januar 1873 aber dem Gutsbesitzer N. kommissarisch 
übertragen und von denselben verwaltet worden sel. Der Verklagte meint zwar, daß wenn auch 
die Besitzer der 4 Güter einen Vertreter zur Verwaltung der Polzeigeschäfte bestellt hätten, doch 
jeder von ihnen zur Verwaltung dieser Geschäfte verpflichtet geblieben sei. Aber hierin irrt er. 
Denn sobald, wie hier als geschehen angenommen werden muß, in Gemäßheit der §§. 8 und 9 des 
Gesetzes über die ländlichen Ortsobrigkeiten in den 6 östlichen Provinzen vom 14. April 1856 die 
Bestellung eines Stellvertreters erfolgt, oder ein Kommissarius mit der Verwaltung der Polizei-  
Obrigkeit auf Kosten der Inhaber ernannt worden ist, gehen alle Pflichten, aber auch alle Rechte, 
welche in der Polizei-Obrigkeit enthalten sind, auf den Stellvertreter resp. Kommlssarius über. Der 
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