fullscreen: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIIl. Buch. Die kathollsche Kirche. 6o 
  
Vereinswesen anzufangen ist gefährlich, weil bei der unendlichen Zahl solcher Ver- 
einigungen es schwer würde, wieder aufzuhören. So mag die Bemerkung genügen, 
daß es kaum eine Seite christlicher Caritas gibt, für die nicht Vereine beständen, kaum 
einen Beruf, einen Stand, dessen Angehörige sich nicht in einem Verbande zusammen- 
schlössen. Da gibt es Organisationen für innere wie für äußere Mission, Vereinigungen 
für Armen- und Krankenfürsorge, für Jugendpflege aller #Art, für Spiel und Sport; 
Verbände für Arbeiter und Arbeiterinnen, für Schiffer und Küster, für Gesellen und 
Dienstboten, für Lehrer und Lehrerinnen, für männliche und weibliche Kaufleute, für 
Priester und Studenten und Studentinnen, für Auswanderer und im Ausland Lebende, 
für Wissenschaft und Kunst, für gute Bücher und gute Presse, gegen Unsittlichkeit und 
Alkoholismus usw. Es ist nicht zu leugnen, daß die Konfessionalisierung hier reichlich 
weit gediehen ist. Mag bei den meisten Vereinen eine Scheidung nach Konfessionen 
ohne weiteres einleuchten, so ist sie bei manchen jedenfalls auf den ersten Blick, bei einigen 
wenigen überhaupt befremdlich, z. B. bei Spiel- und Sportvereinen. Allein dies sind 
großenteils noch Nachwirkungen vom Kulturkampf, von der Zeit, da die preußische 
(wie manche andere) Regierung und die religiöse Verständnislosigkeit des Liberalismus 
die Katholiken abstießen und sie zu exklusiven politischen wie geselligen Organisationen 
drängten. Ein größerer Gefallen hätte dem „Ultramontanismus“ gar nicht geschehen 
können, als er ihm durch jene Unduldsamkeit erwiesen wurde. Wenn man daran erinnert, 
daß die konfessionellen Vereinigungen unter der Regierung des dermaligen Kaisers, dem 
wir eine langsame Entspannung der religiösen Gegensätze nachrühmen, eher zu- als 
abgenommen haben, so ist zu bedenken, daß geistige Faktoren nicht mit der Plötzlichkeit 
chemischer Reagenzien wirken, daß vielmehr die Wirkungen oftmals erst viel später sich 
einstellen, sogar wenn die Ursachen längst verschwunden sind. Daß übrigens das Bei- 
spiel des Kaisers allgemeine Nachahmung gefunden habe und die konfessionelle Eng- 
herzigkeit gegen alles Katholische aus allen akatholischen Kreisen verschwunden sei, könnte 
doch nur behaupten, wer selbst in jener Engherzigkeit befangen wäre. Ein Blick in ge- 
wisse Zeitungen und Zeitschriften, die Anwesenheit bei gewissen Versammlungen kann 
jeden, der Augen und Ohren auftut, vom Gegenteil überzeugen. Man maöchte eher an 
eine Steigerung dieser Exklusivität glauben, die als Reaktion gegen des Kaisers Weit- 
herzigkeit psychologisch begreiflich wäre. Daraus allein schon würde sich wiederum die 
Zunahme der spezifisch katholischen Beranstaltungen erklären. Da ferner das Ausland 
die konfessionellen Verhältnisse im Deutschen Reiche und die Wirkungen der Konfessions- 
mischung niemals richtig beurteilen wird, so werden jene Katholiken, die eine konfessio- 
nelle Absonderung für unbedingt notwendig halten, weil sie in dem unbeschränkten Ver- 
kehr mit Andersgläubigen eine Bedrohung der Reinheit des Glaubens sehen, immer 
in Rom mehr Verständnis finden, als die einem unbefangenen Zusammengehen das 
Wort reden. Der Papst als oberster Wächter über Glauben und Sitten muß alles, 
wodurch diese nach seiner Uberzeugung oder nach den Berichten Einheimischer geschädigt 
werden könnten, zu beseitigen suchen. Er hat ein lebhaftes Interesse daran, jeden Ein- 
fluß einer fremden Religion von seinen Gläubigen fernzuhalten. Dagegen ist das Ziel, 
das der Staat anstreben muß, direkt entgegengesetzt: um die Einheit der Nation zu er- 
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