II. Reichsgesetzgebung. Art. 3. 79
jedem Bundesstaate der Angehörige eines anderen Bundesstaates diejenigen
Beschränkungen gefallen lafsen, denen auch die eigenen Angehörigen des
betreffenden Bundesstaates unterliegen, und zwar gilt dies für die Zulassung
wie für die Ausübung des Gewerbebetriebes. Hier kommen insbesondere
polizeiliche Beschränkungen und steuerfiskalische Lasten in Betracht. Wie
das Reichsgericht (7. Cs. Urt. v. 1. Mai 1906 Bd. 63 S. 264) entschieden
hat, braucht kein Angehöriger eines Bundesstaates beim Betriebe von Handel
und Gewerbe in einem anderen Bundesstaate eine Abgabe zu entrichten,
„der nicht gleichmäßig die in demselben Gewerbeverhältnisse stehenden eigenen
Angehörigen unterworfen sind“. Andererseits muß sich der Angehörige eines
anderen Bundesstaates allen gewerblichen Abgaben unterwerfen, die in dem
Bundesstaate, in welchem er sein Gewerbe ausübt, für Betriebe dieser Art ein-
geführt find, auch wenn er für sein Gewerbe in seinem Heimatsstaat, wo der
Hauptfitz seines Gewerbes ist, schon eine gleichartige Steuer entrichtet. Diese
durch Entsch, des Reichsgerichts v. 18. Dez. 1884 (1. Strff. Bd. 11 S. 309)
und des Oberverwaltungsgerichts (Staatssteuersachen Bd. 11 S. 48 und
Bd. 12 S. 481) bestätigte Konsequenz des Art. 3 ist durch § 3 Abs. 3 des
Doppelsteuergesetzes v. 22. März 1909 R.G. Bl. S. 3832 dahin modifiziert
worden, daß für Betriebsstätten desselben gewerblichen Unternehmens, die
sich in mehreren Bundesstaaten befinden, die Heranziehung zu den direkten
Staatssteuern in jedem Bundesstaate nur anteilig erfolgen kann.
Die Reichsverfassung gebraucht im Art. 3 den Begriff des „Gewerbe-
betriebes“ wie eine bekannte Größe, doch ist dieser Begriff für alle Reichs-
gesetze nicht derselbe. Der Gewerbeordnung liegt ein im Vergleich zum
allgemeinen Sprachgebrauch eingeschränkter Begriff des Gewerbes zugrunde
insofern als zum „Gewerbe“ im Sinne der Gew.-O. nicht Ackerbau, Garten-
bau und freie Künste gehören. Dies geht aus den Motiven der Gew.-O.
sowie daraus hervor, daß diese Erwerbszweige im § 6 der Gew.-O. nicht
besonders genannt find, obwohl unzweifelhaft die Gew.-O. auf sie keine
Anwendung finden sollte; ebenso das Reichsgericht Cs. Bd. 55 S. 170. Die
Gew.-O. enthält viele Spezialbestimmungen, namentlich über das Verhältnis
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, aus denen ohne weiteres hervor-
geht, daß diese ganze Regelung auf die Verhältnisse der Landwirtschaft nicht
paßt. Dagegen läßt der einfache Grundsatz, daß die Angehörigen aller
Bundesstaaten gleich zu behandeln sind, eine Unterscheidung zwischen Handel,
Industrie und Landwirtschaft nicht zu. Vielmehr ist mit Rücksicht auf den
Zweck des Gesetzes anzunehmen, daß Art. 3 R.V. den Begriff des Gewerbes
soweit als möglich erfaßt, und zwar ebenso wie § 1 Nr. 3 des Freizügigkeits-
gesetzes, wonach jeder Bundesangehörige das Recht hat, innerhalb des Bundes-
gebietes, umherziehend oder an dem Orte des Aufenthaltes, bezw. der Nieder-
lassung Gewerbe aller Art zu betreiben unter den für Einheimische geltenden
gesetzlichen Bestimmungen. Gewerbe im Sinne dieser Vorschrift und der
Bestimmung des Art. 3 find daher alle Erwerbszweige, die auf Erzielung
eines nicht mit der Rechtsordnung im Widerspruch stehenden Gewinns
gerichtet sind, ohne Unterschied insbesondere, ob sie zur Landwirtschaft,
Industrie oder zum Handel gehören. Es ist natürlich eine andere Frage,
ob besondere politische Rechte, die an den Besitz gewisser landwirtschaftlich
verwalteter Grundstücke geknüpft sind, auch Angehörigen anderer Bundes-
staaten zugestanden werden, aber der Betrieb der Landwirtschaft als solcher