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im Frieden der Oberbefehl über seine Armee, die
Besetzung sämtlicher Kommandostellen, das Ver-
ordnungsrecht, die Selbständigkeit der Armee-
verwaltung, die Aufstellung der Spezialetats und
die Rechnungskontrolle zustehen. Die übri-
gen Staaten, mit Ausnahme von Sachsen
und Württemberg, haben mit Preußen Konven-
tionen abgeschlossen, durch welche sie die Verwal-
tung ihrer Kontingente, die Ernennung der
Offiziere und Beamten und die meisten andern
nach der RV ihnen zustehenden militärischen Ho-
heitsrechte dem König von Preußen zur Aus-
übung übertragen haben, so daß die Kontingente
dieser Staaten dem preußischen Kontingent zu-
gewachsen sind. Die Königreiche Sachsen
und Württemberg sind demnach die
einzigen Staaten, auf welche die reichsverfassungs-
mäßige Ordnung des H. Wesens wirklich Anwen-
dung findet; auch auf sie mit einigen, minder
erheblichen Modisikationen. So ist die verfassungs-
mäßige Regel tatsächlich zur Ausnahme geworden
und es gibt nicht so viele Kontingente als
Bundesstaaten, sondern nur vier: das preu-
ßische, sächsische, württembergische und bayrische.
Diese vier Kontingente bilden zusammen die
#Reichsarmee; sie ist im militärtechnischen Sinne
eine „einheitliche“, da die H. Körper, aus denen
die Einheit sich kombiniert, überall gleichartig sind;
staatsrechtlich aber ist das Reichsheer ein Kon-
tingentsheer. [X Militärkonvention!l.
# 2. Die verfassungsmäßigen Rechte des
Reichs. Die Einheitlichkeit des deutschen H. be-
ruht auf drei Grundlagen, dem einheitlichen Mi-
litärrecht, dem Oberbefehl des Kaisers in Krieg
und Frieden und der gemeinsamen Tragung der
Kosten und Lasten des Kriegswesens (Rekruten-
stellung und Militäretat).
1. Die sofortige Rechtseinheit im Nord-
deutschen Bunde wurde dadurch erreicht, daß
a 61 der BV die Einführung der gesamten preußi-
schen Militärgesetzgebung, mit alleiniger Ausnah-
me der Militär-Kirchenordnung, im ganzen Bun-
desgebiet vorschrieb. Diesem Geltungsgebiet tra-
ten hinzu Südhessen durch die Militär-Konvention
v. 7. 4. 67 à 2; Baden und Württemberg durch die
Bündnisverträge v. 15. und 25. 11. 70 und Elsaß-
Lothringen durch das Gv. 23. 1. 72. Dagegen
wurde für Bayern im Bündnis Vt v. 23. 11. 70
zwar die unumschränkte Kompetenz des Reichs
zur Militärgesetzgebung anerkannt, dagegen die
Einführung der vor dem Eintritt Bayerns in den
Bund erlassenen Gesetze und Verordnungen von
der Einwilligung der bayrischen Regierung ab-
hängig gemacht. Nach der Reichsgründung gab es
daher innerhalb des Reichs hinsichtlich des H. We-
sens zwei Rechtsgebiete, das preußische und das
bayerische. Dieser Gegensatz ist aber mit der fort-
schreitenden Ausbildung der Reichsgesetzgebung
ausgeglichen worden, da alle Teile des Militär-
rechts durch Reichsgesetze vollständig geregelt wor-
den sind. Die Autonomie Bayerns ist beseitigt oder
auf den Erlaß unerheblicher Ausführungsordnun-
gen beschränkt.
Das Verordnungsrecht behufs Aus-
führung der Reichsgesetze steht im allgemeinen
nach à ?7 Ziff. 2 der RV dem Bundesrate zu; in
den meisten das H. betreffenden Gesetzen ist aber
der Erlaß der Ausführungsbestimmungen dem
Kaiser und für Bayern dem Könige von Bayern
Heer (Rechte des Reichs)
übertragen. Hinsichtlich der durch Reichsgesetze
nicht geregelten Materien steht das Verordnungs-
recht formell den Kontingentsherren zu; dieselben
sind aber verpflichtet, von diesem Recht in der Art
Gebrauch zu machen, daß sie die für die preußische
Armee ergehenden Anordnungen für ihre Kon-
tingente ebenfalls erlassen. R a 63 Abs 5.
2. Der Obelestebl des Kaisers
enthält nach der RV folgende Rechte:
Alle deutschen Truppen sind ver-
pflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingte
Folge zu leisten und diese Verpflichtung ist in
den Fahneneid aufzunehmen (a 64 Abs 1). Be-
hufs Ausübung des Befehls ist der Kaiser be-
rechtigt, den Höchstkommandierenden
eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche
Truppen mehr als eines Kontingents befehligen
und alle Festungskommandanten zu
ernennen. Die von ihm ernannten Offi-
ziere leisten ihm den FahneneidAuch darf inner-
halb der einzelnen Kontingente die Ernennung
der Generale und der Offiziere, welche Generals-
stellungen versehen, nur mit jedesmaliger Zu-
stimmung des Kaisers erfolgen (a 64 Abs 2). Da
aber für Württemberg durch die Militär-Kon-
vention à 5 hiervon eine Ausnahme gemacht ist,
so hat die Bestimmung nur für Sachsen praktische
Bedeutung. Ferner hat der Kaiser das Recht der
Inspektion unnd ist befugt, die Abstellung der
bei den Inspektionen vorgefundenen Mängel an-
zuordnen (à 64 Abs 3). Cr hat den Präsenz-
staned, die Gliederung und Einteilung der
Kontingente zu bestimmen (a 64 Abs 4); ist aber
hinsichtlich des stehenden H. im Frieden hierbei
an die Anordnungen des Militärgesetzes und der
dazu ergangenen Novellen gebunden. Der Kaiser
hat das Recht, die Garnisonen der einzelnen
Truppenkörper innerhalb des Reichsgebiets zu
bestimmen (à 63 Abs 4); über die Ausübung die-
ses Rechts sind aber den meisten Staaten in den
Militärkonventionen [#] bestimmte Zusicherungen
erteilt worden. Der Kaiser hat endlich das Recht,
die kricgsbereite Ausstellung (Mobilmachung #)
eines jeden Teils des ReichsH. anzuordnen und
die Reserve, Landwehr und Seewehr sowie den
Landsturm zu den Fahnen einzuberufen (a 63
Abs 4). Außerdem zählt die RV zu den mili-
tärischen Rechten des Kaisers auch die Be-
fugnis desselben, falls die öffentliche Sicherheit
in dem Bundesgebiet bedroht ist, einen jeden
Teil desselben in Kriegszustand zu erklären. Ueber
die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung
und die Wirkungen einer solchen Maßregel sind
bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes die Vorschriften
des preußischen Gesetzes v. 4. 7. 51 (GS 451)
maßgebend. Da dieses Recht in dem kaiserlichen
Oberbefehl enthalten ist, steht den Landesherren
die Be fugnis, für ihre Gebiete den Kriegszustand
zu verhängen, nicht zu (a. M. u. a. Fleischmann,
Belagerungszustand, oben Bd. I, S. 399).
Für Bayern haben gemäß der Schlußbe-
stimmung zum XI. Abschnitt der RV alle diese
Vorschriften keine Geltung. Die bayrischen
Truppen stehen nur im Kriege unter dem kaiser-
lichen Oberbefehl, welcher mit Beginn der Mobi-
lisierung eintritt; die letztere ersolgt auf Anord-
nung des Königs von Bayern; er ist verpflichtet,
diesen Befehl auf Veranlassung des Bundesfeld-
herrn zu erteilen.