(No. 777.) Verordnung wegen streitig gewordener Auslegung von Staatsverträgen. Vom
25 ten Januar 1823.
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, Koͤnig von
Preußen ꝛc. x.
Es koͤnnen Faͤlle vorkommen, daß bei Prozessen zwischen Privatpersonen und
dem Fiskus, oder zwischen Privatpersonen unter sich, uͤber die Auslegung von
Staatsvertraͤgen, welche auf die Entscheidung der Sache Einfluß haben, von den
Parteien entgegengesetzte Behauptungen aufgestellt werden.
In Erwaͤgung,
daß Staatsverträge nach den bei ihrer Schließung zum Grunde liegenden Mo-
tiven, nicht nach allgemeinen Auslegungsregeln interpretirt werden können,
daß die in speziellen Fallen darauf Bezug habenden Entscheidungen der Ge-
richtshöfe zu einseitigen Interpretationen führen möchten, welche in den Au-
gen anderer betheiligten Gouvernemenks als Verletzung der Staatsverträge
angesehen werden, solchergestalt aber in die öffentlichen Verhältnisse störend
eingreifen dürften,
daß das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, es mögen derglei-
chen Staatsverträge mit oder ohne Konkurrenz des Preußischen Gouverne-
ments abgeschlossen seyn, sich theils im Besitz der dahin einschlagenden Ver-
handlungen befindet, theils in den Stand gesetzt ist, eine ndhere Kenntniß
aller Verhältnisse zu erlangen,
welche auf die Entstehung und Abfassung derselben eingewirkt haben,
setzen Wir auf den Ankrag Unseres Staaksministerü hiermit Folgendes fest:
Wenn im Laufe eines Prozesses über den Sinn einer in einem Staatsvertrage
enthaltenen, zur Entscheidung der Sache beitragenden Bestimmung, oder
über die Frage:
welcher von mehreren zugleich in Betracht kommenden Scaatsverträgen
und in wie weit dieser oder jener zum Grunde zu legen sey?
besgleichen über die Frage:
ob und in wie weit ein in Bezug genommener Staatsvertrag überhaupt
an und für sich als völkerrechrlich gültig anzusehen sen?
unter den Parteien entgegengesetzte Behauptungen aufgestellt werden, so sol-
len die Gerichte, ohne Unterschied, ob der Preußische Staat bei der Abschlie-
Khung solcher Verträge konkurrirt hat, oder nicht, verbunden seyn, vor Ab-
fassung des Erkenntnisses die Aeußerung des Ministeriums der auswärtigen
Angelegenheiten einzuholen, und sich darnach bei der Entscheidung lediglich
zu achten.
Urkund-