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II Steuerpflichtige im Sinne des Art. 72 Abs. I sind nicht nur die natürlichen Personen,
sondern auch die juristischen Personen und nichtrechtsfähigen Vereine. Art. 72 bezieht sich
auch auf die vormerkungsweise Veranlagung.
II Nach Art. 72 Abs. I ist z. B. Nachveranlagung durchzuführen, wenn dem Steuer-
ausschuß oder dem Rentamte die Voraussetzungen für die subjektive Steuerpflicht einer Person,
wie etwa die Wohnsitz= und Staatsangehörigkeitsverhältnisse einer Person, nicht bekannt
waren oder die Veranlagung einer Person übersehen wurde oder die Veranlagung infolge
eines Rechenfehlers bei der Feststellung der Veranlagungsgrundlagen zu niedrig erfolgte oder
dem Rentamte nachträglich neue Einkommensquellen oder andere wesentliche tatsächliche Um-
stände bekannt werden oder wenn sich nachträglich zeigt, daß irrige oder absichtlich unrichtige
Angaben über die Höhe des Einkommens vom Steuerpflichtigen gemacht worden sind. Ein
Verschulden des Steuerpflichtigen wird in der Regel Grund zur Nachveranlagung sein, die
Zulässigkeit der Nachveranlagung ist aber von einem Verschulden des Steuerpflichtigen nicht
abhängig. Unzulässig ist eine Nachveranlagung lediglich als Folge einer Anderung in der
Rechtsanschauung der Veranlagungsorgane und Rechtsmittelinstanzen oder als Folge des
Auftauchens einer bloßen Vermutung oder — vorausgesetzt, daß keine neuen wesentlichen
Tatsachen bekannt geworden sind, — einer Meinungsänderung hinsichtlich der Höhe einer
Schätzung.
IV Bei Anwendung des Art. 72 ist von Verfolgung kleinlicher Differenzen und unnötigen
Belästigungen der Steuerpflichtigen abzusehen. Die Rentämter werden ermächtigt, beim
Mangel einer Hinterziehungsabsicht des Steuerpflichtigen von der Nachveranlagung Umgang
zu nehmen, wenn die zur Nachholung geeigneten Staatssteuern (Einkommen-, Gewerb= und
Kapitalrentensteuern) den Jahresbetrag von 3 — nicht übersteigen.
V Wegen der im Art. 72 Abs. II erwähnten Vorschriften über die Haftung für Nach-
laßverbindlichkeiten vgl. §§ 1967 ff., 2058 ff., 421, 426 d. BGB. Die Verpflichtung
zur Nachzahlung trifft nur die Erben, nicht auch die Vermächtnisnehmer.
V.Wegen der ÜUbergangsvorschriften und der freiwilligen Angabe bisher verschwiegener Ein-
künfte und Erträge im ersten Veranlagungsverfahren vgl. Art. 7, 5 Ziff. 1, Art. 4 d. Eins Ges.
VI Die Vorschrift im Art. 72 Abs. IV schließt nicht aus, daß — wenn auch die Höhe
der für frühere Jahre geschuldeten Steuer nicht genau feststeht — gleichwohl eine niedrigere
Jahressteuer als die höchste der in einem der drei letzten Jahre entgangenen der Berechnung
zu Grunde gelegt wird, wenn hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, daß das Ein-
kommen erst im Laufe der Jahre zu der im Zeitpunkte der Nachveranlagung bekanntgewor-
denen Höhe angewachsen ist.
VII Neben der Nachveranlagung ist veranlaßtenfalls das Strafverfahren nach den Art. 74 f.
durchzuführen.