Object: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

406 Reichsland. 
ersten Statthalter Freiherrn v. Manteuffel persönlich übertragen. Als Delegirter 
Kaiserlicher Rechte ist der Statthalter unverantwortlich. Auf diesem Gebiete bedürfen 
daher seine Erlasse behufs Uebernahme der konstitutionellen Verantwortlichkeit einer 
ministeriellen Gegenzeichnung durch den Staatssekretär (§ 4 Abs. 1 des Gesetzes). 
2) Der Statthalter an Stelle des Reichskanzlers. De juore lag 
die oberste Leitung der gesammten Landesverwaltung in den Händen des Reichs- 
kanzlers, welcher auch die konstitutionelle Verantwortung hierfür dem Bundesrath 
und Reichstag gegenüber trug. Ein Theil davon war bereits durch die Verordn. 
vom 29. Januar 1872 auf den Oberpräsidenten übergegangen, während die dem 
Reichskanzler verbliebenen ministeriellen Befugnisse auswärtige und militärische An- 
gelegenheiten, Justiz (Ges. vom 14. Juli 1871, § 3), Verwaltung der indirekten 
Steuern, Forstverwaltung (Ges. vom 30. Dez. 1871, § 1), Bergwesen (Ges. vom 
16. Dez. 1873, §§ 164, 165), Vorbereitung der Gesetze und Berichterstattung an 
den Kaiser (Ges. vom 9. Juni 1871, § 4) seit dem Stellvertretungsgesetz vom 
17. März 1878 (R.G.Bl. S. 7) von den Vorständen des Reichsjustizamts und des 
Reichskanzleramts für Elsaß-Lothringen ausgeübt wurden. Letzteres Amt sowie das 
Oberpräsidium in Straßburg wurden aufgelöst und die Justizverwaltung des R. 
dem Reichsjustizamt entzogen und alle ministeriellen Pflichten — einschließlich der 
konstitutionellen Verantwortlichkeit — und Rechte dem Statthalter übertragen. 
Dieser hat somit in Elsaß-Lothringischen Angelegenheiten die Stelle eines verant- 
wortlichen Ministers und kann sich in dieser, wie der Reichskanzler es nach Maßgabe 
des Gesetzes vom 17. März 1878 konnte, durch den Staatssekretär vertreten lassen. 
Dem Landesausschuß gegenüber ist eine Verantwortlichkeit nicht begründet. 
3) Der Statthalter an Stelle des Oberpräsidenten hat die durch 
das Ges. vom 30. Dez. 1871, § 10 geschaffenen außerordentlichen Vollmachten bei 
Gefahr für die öffentliche Sicherheit. (Die Ansicht von Stengel in den Annalen des 
Deutschen Reichs 1878, S. 1183 ff., daß § 10 durch Einführung der RVerf. in Elsaß- 
Lothringen aufgehoben sei, beruht auf der falschen Ansicht, daß Art. 68 der RVerf. die 
landesgesetzlichen Vorschriften über den Belagerungszustand außer Wirksamkeit gesetzt habe.) 
B. Die Centralverwaltung wird unter dem Statthalter durch ein 
Landesministerium geführt, an dessen Spitze ein Staatssekretär steht und welches 
in Abtheilungen unter der Leitung von Unterstaatssekretären zerfällt (§ 6) und dessen 
Beamte sämmtlich Landesbeamte sind. Das Ministerium gilt im Sinne des Be- 
amtengesetzes als oberste Landesbehörde und ist insofern an die Stelle des Bundes- 
raths getreten (Ges. § 8). Im Uebrigen ist die Organisation des Ministeriums 
durch die Verordn. vom 23. Juli 1879 erfolgt; danach zerfällt letzteres in vier Ab- 
theilungen: Inneres nebst Kultus und Unterricht, Justiz, Finanzen und Domänen, 
Gewerbe nebst Landwirthschaft und öffentlichen Arbeiten. Die Ressorts sind jedoch 
nicht selbständig nebeneinander wirkende Behörden, vielmehr alle der oberen Leitung 
des Staatssekretärs untergeordnet, welcher alle Entscheidungen trifft und sich in den 
Abtheilungen oder im Plenum oder blos vom Referenten allein jede ihm beliebige 
Angelegenheit zum Vortrag vorlegen lassen kann. 
C. Der Staatsrath. Der Französische conseil d'état hatte in der bis- 
herigen Organisation von Elsaß-Lothringen keinen vollen Ersatz gefunden; der 
recours comme d’abus war auf den Bundesrath, die Verwaltungsbefugnisse auf den 
Oberpräsidenten, die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf den Kaiserlichen Rath in Elsaß- 
Lothringen übergegangen (Ges. vom 30. Dez. 1871, §§ 8, 9; Stengel, in 
Hirth's Annalen 1875, S. 1321 ff.; 1876 S. 808 ff., 897 ff.). Die weiteren 
Befugnisse des Staatsraths wie die Entscheidung von Kompetenzkonflikten, die be- 
gutachtende Thätigkeit, die Dekretur des rex in parlamento waren außer Wirksam- 
keit getreten. Nach der neuen Verfassung wird unter dem Vorsitz des Statthalters 
ein Staatsrath eingesetzt, welcher aus den Vorständen des Ministerium, dem Prä- 
sidenten und Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht, drei auf Vorschlag des Landes-
	        
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