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3. In den Aufsatzübungen ist die Unbefangenheit und die natürliche Aus—
drucksweise der Schülerin zu schonen. Der Lehrer halte sich bei Beurteilung der
Sprachrichtigkeit gleich fern von engherziger Kleinlichkeit wie von Nachsicht gegen regel—
lose Ungebundenheit. In der Wahl und Gestaltung des Ausdrucks soll möglichste Frei—
heit herrschen. Klarer Satzbau und einfache Ausdrucksweise sind die natürliche Grund—
lage jeder Darstellung. Bei der Wahl der Aufgaben ist Einseitigkeit zu vermeiden.
Erlebnisse der Schülerinnen, Wiedergabe lebhafter Eindrücke, Darstellungen im An—
schlusse an Gesehenes, Gelesenes oder Gehörtes sind ebenso als Themen willkommen
wie auf höheren Stufen Aufgaben aus der Geschichte und Literatur sowie Abhand—
lungen über wissenschaftliche Fragen (sogenannte Facharbeiten), die logisch genau,
streng sachgemäß und klar gegliedert zu behandeln sind. Fremdwörter sind zu ver-
meiden, wenn sich ein guter deutscher Ausdruck ungezwungen darbietet.
4. Zusammenhängende Literaturgeschichte ist nicht zu erteilen. Im Mittel-
punkte steht vielmehr die Lektüre der Dichterwerke. Nur das zum Verständnis des
Werkes Nötige ist aus der Literaturgeschichte einzufügen. Besprechungen der Kunst-
fomen sind gleichfalls nur im Anschluß an die gelesenen Dichtungen zu geben. Das
Zerpflücken eines Kunstwerkes ist zu meiden. Nur das unbedingt Nötige wird in der
Klasse erläutert, und nur besonders geeignete Abschnitte eines Werkes werden ge-
meinsam in der Klasse gelesen. Haben die Schülerinnen in der Schule gelernt, mit
Verständnis und Genuß zu lesen, so werden sie ohne Schwierigkeit das Werk als
Privatlektüre zu Ende lesen, um dann darüber in der Klasse kurz und knapp zu berichten.
(Es versteht sich von selbst, daß das Lehrerkollegium nicht durchaus an die in § 10
gemachten Vorschläge zur Auswahl des Lesestoffs gebunden ist; doch müssen Ab-
weichungen davon in gemeinsamer Beratung vereinbart sein.) Zum Deklamieren
wähle man für jede Klasse nur wenige Gedichte aus; besonders lange Gedichte sind
vom Auswendiglernen auszuschließen.
5. Die Pflege des mündlichen Ausdrucks ist ebenso wichtig wie die des schrift-
lichen. Man halte auf eine reine und gute Aussprache, möglichst im Anschluß an die
Bühnensprache, unter Benutzung phonetischer Hilfen, ohne durch Vermeidung aller
mundartlichen Anklänge in Ziererei und Unnatur zu verfallen. Auf allen Klassen-
stufen ist die freie Wiedergabe von Gesehenem, Gehörtem und Gelesenem zu pflegen;
insbesondere aber kann in den Oberklassen die Privatlektüre den Stoff zu den freien
Vorträgen liefern. Wie an die Besprechung der Aufsätze stilistische, so sind an die
Beurteilung der Vorträge rhetorische Bemerkungen anzuknüpfen.
6. Die Sprachgeschichte ist auf allen Stufen in angemessener Weise zu behandeln.
Die Schülerin soll ein klares Gesamtbild der Hauptzüge und der Grundgesetze unserer
sprachlichen Entwicklung erhalten. Hier sind etymologische Streifzüge durch das