deutlicher kaiserlicher Vertrauensbeweise, um eine Kanzlerkrisis zu
vermeiden.
Frhr. v. Marschall erkrankte Anfang Mai 1897. Die Vor-
würfe, die er wegen der Erfüllung einer Pflicht der Selbstachtung
und der öffentlichen Moral im Prozeß Lützow von den Hütern
einer mißverstandenen preußischen Tradition zu hören bekam, gingen
ihm sehr nahe. Ein Leberleiden zehrte an seinen Kräften. Das war
der Hauptgrund, warum er Anfang Juni in einer Audienz beim
Kaiser den Wunsch aussprach, von der Leitung des Auswärtigen
Amtes entbunden zu werden. Sein weiterer Wunsch war, sich
durch diplomatische Erfahrungen im Auslande einen festen Platz
in der hohen Politik zu erringen, nachdem er sich auf seinem bis-
herigen Posten die längste Zeit mit dem Studium der wirtschaft-
lichen Angelegenheiten und der Vertretung der Handelsverträge
im Reichstage hatte beschäftigen müssen. Er sah ein, daß er mit
seiner handelspolitischen Vergangenheit ein Hindernis für die be-
ginnende Vorbereitung eines neuen Jolltarifs sein würde. Gleich-
zeitig hatte sich der Minister und Staatssekretär v. Bötticher die
kaiserliche Ungnade zugezogen, weil er im Reichstage am 18. Mai
auf eine Rede des Abgeordneten Richter gegen das persönliche
Regiment die Antwort schuldig geblieben war. Die Beratung galt
einem Antrag Rickert und Genossen auf Aufhebung des Verbin-
dungsverbotes für politische Vereine. Der Antrag war ein Protest
gegen den Versuch, durch eine Novelle in Preußen die Vereins-
und Versammlungsfreiheit zu beschränken. Der Abgeordnete Rickert
und der Zentrumsführer Lieber nannten das preußische Vorgehen
eine Kriegserklärung gegen die Gesetzgebung des Reichs. Der Ab-
geordnete v. Kardorff ließ in seine Verteidigung des preußischen
Vorgehens die Bemerkung einfließen, der Fonds monarchischer Ge-
sinmung sei stark in Abnahme. Diese Bemerkung griff der Abge-
ordnete Richter auf und fügte in scharf zugespitzter Rede hinzu,
daß nicht durch die Agitationen der Sozialdemokratie, sondern in-
folge von Vorgängen, die sich der parlamentarischen Erörterung ent-
zögen, so stark an dem monarchischen Kapital in weiten bürger-
lichen Kreisen gezehrt werde. Mit den Vorgängen war u. a. die
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