Das Nachgefecht, das sich nun um einen wichtigen Teil
der Hinterlassenschaft Bismarcks entspann, war fast so hitzig als
der Hauptkampf vor vier Jahren um das gesamte Erbe. In dem
Lobpreisen der einen und dem Verdammen der anderen wurde vor
allem nach dem Grund für die Preisgabe des Drahtes gefragt
und der Zweck der Enthüllung erörtert. Die Getreuen: „Warum
wurde die vorteilhafte Assekuranz aufgegeben?“ „Wie konnte Caprivi
leichtherzig ein Meisterwerk Bismarckischer Staatskunst verderben?“
Die alten Gegner: „Will er den Dreibund sprengen?“ „Will er
sich an den Staatsmännern des neuen Kurses rächen?“ Die Lauen:
„Er wollte vor einseitiger Hinneigung zu England warnen oder
vielleicht den französischen Feuereifer für Rußland dämpfen?“
In Österreich-Ungarn und in Italien wurden aus einer Wolke
der Verstimmung Gedanken laut wie die, in Deutschland scheine
der Dreibund nicht mehr so beliebt zu sein, und was sich der eine
Verbündete gestattet habe, könnten sich die anderen nun auch er-
lauben, Italien zum Beispiel ein Geheimabkommen mit Frankreich.
Eine nützliche Wirkung der Enthüllung wäre es gewesen, wenn
sich Frankreich in der Rolle einer jungen Frau gefühlt hätte, die
plötzlich Liebesbriefe ihres Mannes an eine andere entdeckt. Aber
Frankreich blieb so vernarrt in den russischen Freund, daß Unmut
über seine alten Liebhabereien nicht aufkommen konnte. Pariser
Blätter zogen es vor, den Schein auszubeuten, als ob Deutsch-
land kein unbedingt zuverlässiger Bundesgenosse wäre.
Die Regierung des dritten Kanzlers glaubte zuerst, die Ver-
legenheit, in die sie versetzt war, durch Berufung auf die ganz
geheime Natur der deutsch-russischen Abmachungen von 1887 über-
winden zu können. Das Mittel war ungeeignet. Die Bemerkungen
im Reichsanzeiger über Verletzung strengster Staatsgeheimnisse und
Erschütterung des Vertrauens der Mächte in die deutsche Vertrags-
treue gossen sogar noch Ol ins Feuer. Erst nach den Erklärungen
des Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe und des Staatssekretärs
Freiherrn v. Marschall auf eine Zentrumsinterpellation in der Reichs-
tagssitzung vom 16. Noveember 1896 trat allmählich, da die
Hamburger Nachrichten den Streit nicht fortsetzten, Ruhe ein.
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