V. Herr von Holstein.
Hatte ich auch mein redliches Teil dazu beigetragen, daß die
Werbearbeit für die Militärreform einen günstigen Ausgang des
Streites im Reichstage bewirkte, so war ich doch höchlich über—
rascht, als mir Graf Caprivi eines Tages den Posten des Preß-
referenten im Auswärtigen Amte antrug. Constantin Rößler, dessen
Feder er schätzte, sei nicht mehr beweglich genug, weshalb der viel
jüngere und gewandte Herr v. Kiderlen neben dem Orientreferat
auch Preßsachen erledige, ein Zustand, der unbefriedigend für ihn,
den Kanzler, sei.
Die ausgesprochene Absicht war also, die Anomalie einer un-
systematischen Zweiteilung des Preßdienstes, bei der mitunter die
Rechte nicht wußte, was die Linke tat, zu beseitigen. Das Zu-
trauen, das in dem Angebot lag, wußte ich wohl zu schätzen, aber
mehr noch reizte mich die Aufgabe mit ihren unbekannten Schwierig-
keiten und sicheren Kämpfen, inneren und äußeren. Einige prak-
tische Erfahrungen brachte ich mit, und das geringe Wissen, nament-
lich in Sachen der auswärtigen Politik, ließ sich am Ende mit
gutem Willen und offenem Blick ergänzen.
Wie in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung des Reiches
das Heer nur von Fall zu Fall und der Zahl nach verstärkt wurde,
so erging es auch dem Auswärtigen Amt: Die Zahl der Kräfte
wurde allmählich und viel langsamer als beim Heere vermehrt,
die Organisation blieb fast unverändert. Nach heftigem Streit
mit dem Reichstag war der dritte Direktor bewilligt und der poli-
tischen und handelspolitischen Abteilung die Rechtsabteilung hinzu-
gefügt worden. Wenn man von der Kolonialabtellung, die nur eine
vorübergehende Erscheinung im Auswärtigen Amte war, absieht,
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