Hermann Rehm, Weahlverfahren. 441
bündnisses bei der Verhältniswahl. Die kartellierten Listen (Gruppenlisten) gelten gegenüber den
anderen Parteien als eine einzige Liste. Kleine Stimmreste, die sonst verloren gehen würden,
können durch das Zusammenwerfen der vorhandenen Listen noch die zum Mandat erforderliche
Mindestzahl erreichen.
F) Provinz- und Landes-Proporz. Je grösser der Wahlkreis, um so geringer
die Stimmreste, die unvertreten bleiben. Je weniger Wahlgebiete, um so günstiger für die Minder-
heiten.
G) Verteilungssysteme der Verhältniswahl. Sie zerfallen. in zwei
Gruppen. Das Wesen der verhältnissmässigen Vertretung besteht darin, dass die Sitze unter die
Parteien nach dem Verhältnis der Stimmstärke verteilt werden.
1. Das System Hare, genannt nach dem Engländer Hare, verteilt nach dem Verhältnis
der Stimmstärke der Partei zur Gesamtstimmzahl aller Parteien.
a) Einfaches System Hare (Hare’sche Methode). Die Gesamtstimmen-
zahl (3180) wird durch die Zahl der Mandate des Wahlkreises (4) geteilt. Der Quotient (795) wird
dann als Teiler für die Stimmen der einzelnen Parteien verwendet. Partei A hat 1274, Partei B 906,
Partei C 640, D 360 Stimmen. 1274 : 795 = 1; 906 : 795 -: 1. Hare nennt seine Verteilungszahl
(795) Wahlquotient, weil sie durch Teilung (Dividend: Gesamtstimmzahl; Divisor: Mandatszahl)
gewonnen ist (Hare’sches Quotientensystem).
Für die Verteilung der Sitze innerhalb der Partei hat Hare Stimmenübertragung eingeführt.
Verfügt ein Kandidat über mehr Stimmen als die Verteilungszahl (795), so erhält den Ueberschuss
der nächstbeste Parteigenosse; hat kein Kandidat den Wahlquotienten (795) erreicht, so werden
dem besten bezw. den besten die Stimmen der anderen Kandidaten immer bis zum Wahlquotienten
zugelegt. In der Partei A mit 1274 Stimmen erhielt a 900, b 374, c 300 Stimmen. Hier wird a um
195 aufgebessert. b hat dann nur mehr 374—195 = 179; er erhält nötigenfalls von c 300.
b) Verbessertes System Hare (Methode Hagenbach-Bischoff.) Die Hare-
sche Berechnung hat den Mangel, dass grosse Teile der Stimmen nicht nach der Stimmstärke ver-
teilt werden. Im obigen Beispiele werden durch den Wahlquotienten bloss 2 Mandate untergebracht;
denn 640 : 795 = 0 und 360 : 795 = 0. Die Reste werden nach relativer Mehrheit vergeben. A hat
(1274—795 -) 479, B (906—795 -) 111, C 640, D 360 Reststimmen. Partei C erhält das dritte,
Partei A das vierte Mandat. Sie hat also zwei.
Der Baseler Professor Hagenbach-Bischoff (+ 1910) hat den Mangel empirisch gemildert.
Er sagt: je kleiner der Wahlquotient, um so mehr Mandate lassen sich mit ihm verteilen. Daher ist
er künstlich zu verkleinern. Zu dem Ende wird die Gesamtstimmenzahl nicht bloss durch die Zahl
der Mandate, sondern durch eine um 1 höhere Ziffer geteilt. 3180 : (4-+1) gibt 636 als Quotienten.
So werden mit den Wahlquotienten die 4 Sitze untergebracht: 1274 : 636 = 2; 906 :630 -];
640 :630 = 1. Die nichtvertretenen Reste sind überdies geringer: bei A 2, bei B 270, bei C 4, bei
C 360. Gelingt es nicht durch Teilung mit der um 1 erhöhten Mandatsziffer sämtliche Stellen zu
besetzen, so wird der Rest doch nicht nach reinem Majoritätssystem verteilt, sondern es wird wenn
auch mit Abwandlung der Gedanke der Divisorenerhöhung fortgeführt. Ein anderes Restevertei-
lungssystem ist das der mittleren Stimmenzahl.)
c) Eine andere empirische Verbesserung hat 1911 das französische Studienkomitee für
Verhältniswahl vorgeschlagen: grosse Reste für die Minderheiten werden erzielt durch Zusammen-
zählen der Minderheiten benachbarter Wahlkreise bei Verteilung der Restmandate (regionale
Listenverschwägerung).
2. Das System des belgischen Rechtsgelehrten d’Hondt verteilt nach dem Verhältnis
der Abstände, die unmittelbar zwischen den Parteistimmstärken obwalten. Er erreicht dadurch,
dass alle Stimmen nach demselben Masstabe und zwar nach Verhältnis, keine nach reinem Mehr-
heitssystem verteilt werden.
1)8S. Rehm in „Deutschlands politische Parteien‘‘ $ 41.