Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVII. Jahrgang, 1906. (17)

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nicht immer sofort den Ausbrüchen seiner Natur und 
Leidenschaften überläßt, so ist die momentane Züge- 
lung derselben nur auf Feigheit und Charakterschwäche 
zurückzuführen, die ihn abhalten, dem Beleidiger und 
Gegner im Angesichte zu widerstehen. Dies ist auch 
der Grund, warum er im Verkehr mit andern bei 
Festlichkeiten, wo es so leicht Reibungen geben kann, 
so selten in Streit gerät oder gar Händel sucht. 
Dieses sein Benehmen macht auf den Weißen im 
Gegensatz zu dem streit= und rauflustigen Charakter 
unserer europäischen zivilisierten Jugend in ihren 
Flegeljahren einen so günstigen Eindruck. 
So roh und tiefstehend der Baininger auch ist, 
er hat doch Sinn für üsthettsche Schönheit. Exakt 
ausgeführte Malereien auf seinen Tanzgegenständen, 
prächtige, geschmackvoll mit verschiedenfarbigen Federn 
geschmückte Speere, bunte, europälsche Stoffe, glän- 
zende Messer und Beile erregen sein Staunen. Der 
Baininger Künstler, der sich durch seine Fertigkeit 
im Zeichnen oder Erfinden neuer Muster hervortut, 
bleibt nicht unbekannt. Sein Ruf bringt ihm häufig 
Besuche aus Nachbargauen und Einladungen, 
anderswo bei Herstellung von Masken mitzuwirken. 
Seine Muster werden nachgeahmt und finden in den 
angrenzenden Gegenden Verbreitung. Der östhetische 
Geschmack ist jedoch in vielen Fällen ein anderer, 
als der unfrige. So z. B. hält er sich für reizend, 
schön, wenn eine Federspule des Kasuarflügels oder 
ein Dutzend kleiner Knochen des fliegenden Hundes 
seine Nasenflügel schmückt. Er ist stolz, wenn er am 
Tanztage infolge von vorhergehendem Fasten eine 
so dünne Taille bekommen hat, daß alle seine Rippen 
sichtbar werden und die Augen tief in ihren Höblen 
liegen. Europäer, die je Mitzuschauer dieses Schau- 
spiels gewesen sind, wurden von Mitleid für die 
Halbtoten ergriffen und wandten sich schaudernd von 
ihnen. Schmutz, Unrat im Hause und Hofraum oder 
am eigenen Leibe berührt ihn nicht, wohl aber wird 
er sich beim Anblick einer vernachlässigten Pflanzung 
verletzt fühlen. 
Auffallend ist, daß er europälschen Gegenständen, 
so lange sich dieselben noch nicht bel ihm eingebürgert 
haben, oder er deren Nutzen noch nicht eingesehen 
hat, so geringen Geschmack abgewinnen kann. Dahin 
gehören nicht zum letzten alle Musikinstrumente. Die 
ungewohnten lauten Töne werden ihm bald lästig. 
Die Art und Weise, wie dieselben erzeugt werden, 
nteressiert ihn nicht zu erfahren. Aber auch so 
— iche Sachen, wie Decken, die ihm doch so gute 
benfte in den frischen Nächten in seinen erbärmlichen 
g lelsten würden, versteht er nicht zu schätzen. 
* * #umer das alte Lied wieder. Eleichgültig- 
* g die Gewohnheit der Sippe bilden im Leben 
Sainingers die belden großen Klippen, die zu 
überwinden ihm Mut und An sehlen. 
Der Balninger ist Kaunibale, doch hegt er Liebe 
zu seinem Weibe und seinen Kindern. Er über- 
mimmt die schwersten Arbeiten in der Pflanzung und 
bei der Herstellung der Hütte. Er begleitet sein 
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Weib ans Ufer zum Fischfang in der See, auf den 
Tanz, teilt seine Mahlzelten mit ihm. Es führt so 
gut das Wort bei Besuchen und vor Fremden, wie 
auch er. In Krankheiten wird er, falls sonst keine 
Frau in seiner Hütte wohnt, die Küche besorgen und 
die Kinder pflegen. Er weint bei ihrem Tod. 
Trägt sie Taros oder Holz, so wartet er das Kind. 
Eine Beleidigung seinem Weibe gegenüber trifft auch 
ihn. Er wird sich am Beleidiger rächen, sobald sich 
eine Gelegenheit einstellt. An Außerungen gegen- 
seltiger Liebe und Geneigtheit besteht wenig Aus- 
tausch. Sie liegen eben nicht in seinem Charakter, 
der anscheinend kalt und gesühllos ist. Das Robe, 
und Lieblose, das wir oft im Verkehr mit seines- 
gleichen bemerken, entspringt aber nicht immer seinem 
Willen, sondern seinem verkehrten morallschen Fühlen. 
Er ist in gewissem Sinne vertiert, seine Nerven, sind 
abgestumpft, doch im Kreise seiner Familie tritt er 
uns dann in andern Fällen wieder so freundlich 
ruhig und zuvorkommend entgegen, wie wir es von 
einem Naturmenschen und Kannibalen nicht erwar- 
teten. Wir dürfen eben bei seiner Beurteilung nicht 
unsere europäischen Sitten und Gebräuche, oder gar 
unser ganzes Sittengesetz als Maßstab für den herab- 
gekommenen Wilden gebrauchen. Von den vielen 
guten Anlagen, die auch ihm mit ins Leben gegeben 
worden, sind ihm trotz aller Verrohung noch manche 
geblieben, worin wir uns als Brüder wieder erkennen. 
Ein gewinnender Zug im Charakter des Bainin- 
gers ist selne herzliche Gastfreundschaft. Er häült 
jeden Vorübergehenden an, bei ihm einzukehren, 
Betel mit ihm zu kouen oder eine Taro anzunehmen. 
Die Weigerung, seiner Elnladung Folge zu leisten, 
würde er übel auslegen. Der Europäer ist jederzeit 
eines freundlichen Empfanges sicher. Da der Bai- 
ninger bislang nur gutes von ihm gesehen und 
empfangen, sowle einen mächtigen Verteidiger gegen 
seine Unterdrücker an ihm gefunden hat, ist die 
Vertraulichkelt und sichtbare, naive Freude, welche er 
bei seinem Erscheinen an den Tag legt, nicht schwer 
zu erklären. Von Mißtrauen und Furcht, welche 
wir nach langen Jahren des Verkehrs und Unter- 
richtes und nach steten Beweisen des Wohlwollens 
am Küstenbewohner noch bemerken, nimmt der Be- 
obachter im Charakter des Bainingers nichts wahr. 
Leider hat er ein zu großes Vertrauen auf andere. 
Wie schwer und oft er für diese Vertrauensseligkeit 
schon gebüßt hat, werden wir bei der Behandlung 
der Sklaverei erfahren. 
Stellt sich ein Besucher ein, so ist anfangs wenig 
von Freundschaftsbezeugungen nach außen zu be- 
merken. Das Herzliche und Zärtliche, das wir nach 
langer Trennung für unsere Familienangehörigen 
oder Freunde bekunden, kennt der Eingeborene nicht. 
Manche unserer Gefühlsausbrüche würden ihm 
lächerlich oder sogar unpassend erscheinen. Hin und 
wieder fällt elner dem andern um den Hals und 
drückt ihn lachend an sich. Für gewöhnlich ist der 
Hausherr äußerlich kalt, reserviert und abwartend.
	        
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