Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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genau alle Schwierigkeiten der Aufgabe, der sie 
sich widmen, um sie zu deren Überwindung vor- 
zubereiten. Der gründliche und praktische Unter- 
richt, den die Mission ihren Schülern in zehn 
Monaten erteilt, umfaßt außer den Lehrgängen 
des kolonialen Unterrichts besonders Kurse der 
Eingeborenensprachen, technische und landwirt- 
schaftliche Arbeiten. Ein Lehrgang in praktischer 
Heilkunde setzt die Schüler instand, etwas Vor- 
beugungskunst zu betreiben, indem bei dem Ein- 
geborenen der Sinn für Sauberkeit, die Sorge 
um die Gesundheit entwickelt wird. Der Lehrer 
muß bei dem Eingeborenen gewisse Heilmethoden 
unterdrücken, die dem verfolgten Zwecke zuwider 
sind. Ferner kann er in gewissen dringenden 
Fällen nützlich eingreifen und den Arzt ersetzen, 
wenn dieser sehr weit von dem Orte entfernt 
ist, wo sich der Kranke befindet. 
Der Senator Saint-Germain hat deutlich 
zum Ausdruck gebracht, wie in dieser Beziehung 
die Haltung der kolonialen Lehrer sein soll: „Sie 
müssen weitsichtiger und tätiger sein als diejenigen, 
die ihnen überantwortet sind. Sie sind die Ge- 
schäftsführer der Zivilisation; aber sie müssen 
auch die Mitarbeiter der rzte sein. 
Man darf also von der Laienmission viel 
erwarten. Auf ihre Schüler müssen wir rechnen; 
sie sind es, die in Geist und Herz der ihnen 
Anvertrauten die Liebe für Frankreich zu ent- 
wickeln haben. 
* 
Unterricht. Der Unterricht, den die fran- 
zösischen und eingeborenen Lehrer, jeder in seinem 
Wirkungskreise, erteilen müssen, soll vor allem 
elementar sein. Die Auserlesenen müssen ihre 
Lernarbeit weiter treiben und eine ihrer Fassungs- 
Es 
kraft zusagende höhere Schulung anstreben. 
ist schwierig, in dieser Sache eine allgemeine 
Regel festzusetzen; ein gleicher Rahmen würde 
nicht zu derselben Zeit für den urzuständlichen 
Neger des Kongo und für den fein veranlagten 
Menschen Anams passen. Aber das Bessere ist 
manchmal der Feind des Guten. Hüten wir uns, 
dem Unterrichte eine zu weite Ausdehnung zu 
geben, die schnell eine Überfülle von Beamten- 
anwärtern unter unvermeidlichem Zulauf de- 
klassierter Elemente schaffen würde. Hüten wir 
uns, unserm Unterricht ein zu sehr berechnendes 
Wesen zu geben. Geben wir ihm eine praktische 
berufsmäßige Gestaltung, so werden wir uns 
sowohl den schaffenden Verstand als auch die 
Muskelkraft des Eingeborenen dienstbar machen. 
„Es wird immer“, sagte geistreich unser Kollege 
Dubief, indem er von Guyana sprach, „da 
unten genug Advokaten und gelehrte Männer 
geben. Es empfiehlt sich vielmehr, Landwirte 
  
und Gewerbetreibende heranzubilden.“ Es wäre 
in der Tat ein grober Irrtum, ebenso gefahrvoll 
für uns wie für die Eingeborenen, wenn wir 
ihnen jetzt, da allerorts die Handarbeit fehlt, eine 
zu lange Lehrzeit aufnötigen und die Felder ent- 
völkern wollten, um die Schulen zu bevölkern. 
England bietet uns ein doppeltes Beispiel für 
das rechte Maß der Eingeborenenunterweisung. 
Seit 1835 dehnte man, unter dem Einfluß 
Macaulays, den Unterricht der englischen Sprache 
und Literatur über die meisten Hindu-Provinzen 
aus. Man führte verwickelte Schulpläne und 
strenge Prüfungen ein. Angezogen von dem 
Köder der Verwaltungsposten, welche die eng- 
lische Regierung den Schülern vorbehielt, ver- 
mehrte sich die Zahl der geschulten Eingeborenen 
trotzdem in einer Weise, daß jetzt eine zu große 
Zahl von Anwärtern und daher von Unzu- 
friedenen und Deklassierten vorhanden ist. 
In den mittleren Provinzen dagegen ist ein 
ganz anderes Unterrichtsverfahren angewendet 
worden. Die Einwohner dieses Teiles von Indien 
sind Ackerbauer oder Hirten. Die Engländer haben 
beschlossen sie zu unterweisen und haben zahl- 
reiche Schulen eingerichtet, denen sie den be- 
zeichnenden Namen „Ackerbauschulen“ gaben. 
Der Generaldirektor des Erziehungswesens für 
Britisch-Indien hat die Wirksamkeit dieser Schulen 
genau umschrieben; unser Kollege Chailley hat 
davon sehr anregende und belehrende Einzel- 
heiten veröffentlicht. Der erste Grundsatz dieses 
Unterrichtsverfahrens ist die unbedingte Achtung 
der Eingeborenenerziehung. Der Unterricht wird 
in der Sprache des Landes erteilt. Mehr als 
das! Da jede Völkerschaft der Mittelprovinzen 
ihre eigene Mundart hat, sind die Unterrichts- 
bücher in jede dieser Mundarten übersetzt. Die 
Erziehung, die sich für diese Stämme eignet, muß 
wesentlich praktisch sein; der Zweck ist also, ihre 
Kenntnisse zu vervollkommnen, zu erweitern, und 
nicht, ihnen zu wissenschaftliche Dinge einzu- 
pfropfen, für deren Aufnahme ihr Verstand nicht 
vorbereitet ist, Kenntnisse, die ihnen bei ihrer ge- 
wohnheitsmäßigen Beschäftigung von keinerlei 
Nutzen sein würden. Der Schulplan erstreckt sich 
also hier nur auf die dem täglichen Leben un- 
entbehrlichen Stoffe: Lesen, Schreiben, Rechnen, 
Erdkunde und Geschichte, Buchführung, Acker- 
wirtschaft und körperliche Ausbildung. Die Land- 
wirtschaft bildet natürlich den Gegenstand eines 
sehr entwickelten Sonderunterrichtes, da er un- 
mittelbar den Bedürfnissen der Eingeborenen ent- 
spricht. 
Die Regelung der Unterrichtsstunden, wie sie 
bei dieser Lehrart durchgeführt ist, sollte in jeder 
unserer Kolonien nachgeahmt werden. Man
	        
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