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genau alle Schwierigkeiten der Aufgabe, der sie
sich widmen, um sie zu deren Überwindung vor-
zubereiten. Der gründliche und praktische Unter-
richt, den die Mission ihren Schülern in zehn
Monaten erteilt, umfaßt außer den Lehrgängen
des kolonialen Unterrichts besonders Kurse der
Eingeborenensprachen, technische und landwirt-
schaftliche Arbeiten. Ein Lehrgang in praktischer
Heilkunde setzt die Schüler instand, etwas Vor-
beugungskunst zu betreiben, indem bei dem Ein-
geborenen der Sinn für Sauberkeit, die Sorge
um die Gesundheit entwickelt wird. Der Lehrer
muß bei dem Eingeborenen gewisse Heilmethoden
unterdrücken, die dem verfolgten Zwecke zuwider
sind. Ferner kann er in gewissen dringenden
Fällen nützlich eingreifen und den Arzt ersetzen,
wenn dieser sehr weit von dem Orte entfernt
ist, wo sich der Kranke befindet.
Der Senator Saint-Germain hat deutlich
zum Ausdruck gebracht, wie in dieser Beziehung
die Haltung der kolonialen Lehrer sein soll: „Sie
müssen weitsichtiger und tätiger sein als diejenigen,
die ihnen überantwortet sind. Sie sind die Ge-
schäftsführer der Zivilisation; aber sie müssen
auch die Mitarbeiter der rzte sein.
Man darf also von der Laienmission viel
erwarten. Auf ihre Schüler müssen wir rechnen;
sie sind es, die in Geist und Herz der ihnen
Anvertrauten die Liebe für Frankreich zu ent-
wickeln haben.
*
Unterricht. Der Unterricht, den die fran-
zösischen und eingeborenen Lehrer, jeder in seinem
Wirkungskreise, erteilen müssen, soll vor allem
elementar sein. Die Auserlesenen müssen ihre
Lernarbeit weiter treiben und eine ihrer Fassungs-
Es
kraft zusagende höhere Schulung anstreben.
ist schwierig, in dieser Sache eine allgemeine
Regel festzusetzen; ein gleicher Rahmen würde
nicht zu derselben Zeit für den urzuständlichen
Neger des Kongo und für den fein veranlagten
Menschen Anams passen. Aber das Bessere ist
manchmal der Feind des Guten. Hüten wir uns,
dem Unterrichte eine zu weite Ausdehnung zu
geben, die schnell eine Überfülle von Beamten-
anwärtern unter unvermeidlichem Zulauf de-
klassierter Elemente schaffen würde. Hüten wir
uns, unserm Unterricht ein zu sehr berechnendes
Wesen zu geben. Geben wir ihm eine praktische
berufsmäßige Gestaltung, so werden wir uns
sowohl den schaffenden Verstand als auch die
Muskelkraft des Eingeborenen dienstbar machen.
„Es wird immer“, sagte geistreich unser Kollege
Dubief, indem er von Guyana sprach, „da
unten genug Advokaten und gelehrte Männer
geben. Es empfiehlt sich vielmehr, Landwirte
und Gewerbetreibende heranzubilden.“ Es wäre
in der Tat ein grober Irrtum, ebenso gefahrvoll
für uns wie für die Eingeborenen, wenn wir
ihnen jetzt, da allerorts die Handarbeit fehlt, eine
zu lange Lehrzeit aufnötigen und die Felder ent-
völkern wollten, um die Schulen zu bevölkern.
England bietet uns ein doppeltes Beispiel für
das rechte Maß der Eingeborenenunterweisung.
Seit 1835 dehnte man, unter dem Einfluß
Macaulays, den Unterricht der englischen Sprache
und Literatur über die meisten Hindu-Provinzen
aus. Man führte verwickelte Schulpläne und
strenge Prüfungen ein. Angezogen von dem
Köder der Verwaltungsposten, welche die eng-
lische Regierung den Schülern vorbehielt, ver-
mehrte sich die Zahl der geschulten Eingeborenen
trotzdem in einer Weise, daß jetzt eine zu große
Zahl von Anwärtern und daher von Unzu-
friedenen und Deklassierten vorhanden ist.
In den mittleren Provinzen dagegen ist ein
ganz anderes Unterrichtsverfahren angewendet
worden. Die Einwohner dieses Teiles von Indien
sind Ackerbauer oder Hirten. Die Engländer haben
beschlossen sie zu unterweisen und haben zahl-
reiche Schulen eingerichtet, denen sie den be-
zeichnenden Namen „Ackerbauschulen“ gaben.
Der Generaldirektor des Erziehungswesens für
Britisch-Indien hat die Wirksamkeit dieser Schulen
genau umschrieben; unser Kollege Chailley hat
davon sehr anregende und belehrende Einzel-
heiten veröffentlicht. Der erste Grundsatz dieses
Unterrichtsverfahrens ist die unbedingte Achtung
der Eingeborenenerziehung. Der Unterricht wird
in der Sprache des Landes erteilt. Mehr als
das! Da jede Völkerschaft der Mittelprovinzen
ihre eigene Mundart hat, sind die Unterrichts-
bücher in jede dieser Mundarten übersetzt. Die
Erziehung, die sich für diese Stämme eignet, muß
wesentlich praktisch sein; der Zweck ist also, ihre
Kenntnisse zu vervollkommnen, zu erweitern, und
nicht, ihnen zu wissenschaftliche Dinge einzu-
pfropfen, für deren Aufnahme ihr Verstand nicht
vorbereitet ist, Kenntnisse, die ihnen bei ihrer ge-
wohnheitsmäßigen Beschäftigung von keinerlei
Nutzen sein würden. Der Schulplan erstreckt sich
also hier nur auf die dem täglichen Leben un-
entbehrlichen Stoffe: Lesen, Schreiben, Rechnen,
Erdkunde und Geschichte, Buchführung, Acker-
wirtschaft und körperliche Ausbildung. Die Land-
wirtschaft bildet natürlich den Gegenstand eines
sehr entwickelten Sonderunterrichtes, da er un-
mittelbar den Bedürfnissen der Eingeborenen ent-
spricht.
Die Regelung der Unterrichtsstunden, wie sie
bei dieser Lehrart durchgeführt ist, sollte in jeder
unserer Kolonien nachgeahmt werden. Man