Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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Der ärztliche Dienst in den deutschen Schutggebieten. 
Am 6. und 7. April 1909 fand in Berlin die 
Tagung der deutschen tropenmedizinischen Gesell- 
schaft statt. Die Verhandlungen sind abgedruckt 
in den Beiheften zum Archiv für Schiffs= und 
Tropenhygiene. Eines der Themata bildete der 
ärztliche Dienst in den deutschen Schutzgebieten. 
Hierüber sprach zunächst Generaloberarzt Professor 
Dr. Steudel. Seinen Ausführungen entnehmen 
wir folgendes: 
Der ärztliche Dienst in den deutschen Schutz- 
gebieten gestaltet sich jie nach den Einwohnern, 
dem Entwicklungsstadium des betreffenden Schutz- 
gebiets und dem Vorwiegen einzelner Tropen- 
krankheiten sehr verschieden. 
Die ärztliche Tätigkeit wird in den Schutz- 
gebieten vorwiegend von beamteten Arzten aus- 
geübt, also von Regierungsärzten und Schutz- 
truppenärzten; Privatärzte finden sich zurzeit noch 
wenige in den Schutzgebieten. 
Um mit den Südseeinseln zu beginnen, wo 
die einfachsten Verhältnisse sind, so befinden sich 
auf den Inselgruppen der Karolinen und 
Marshall-Inseln vier Regierungsärzte, je einer 
auf Jap, Ponape, Saipan und Jaluit, außerdem 
ist auf Nauru noch ein Arzt bei der Phosphat- 
gesellschaft angestellt, der gegen eine besondere 
Vergütung die Geschäfte eines Regierungsarztes 
versieht. Auf diesen Inseln ist bei der kleinen 
Zahl der Europäer, und weil die hauptsächlichste 
Tropenkrankheit, die Malaria, dort fehlt, die 
Inanspruchnahme der Arzte durch die Européäer 
eine relativ geringe, desto umfangreicher ist aber 
ihre Tätigkeit bei der Eingeborenenbevölkerung. 
Die Behandlung der Eingeborenen spielt sich in 
allen Schutzgebieten hauptsächlich in Polikliniken 
ab. Sie sind meistens mit Eingeborenenhospitälern 
verbunden, in denen Schwerkranke aufgenommen 
und Operationen vorgenommen werden können. 
Die Polikliniken sind für die nicht zahlungsfähigen 
Eingeborenen frei oder es wird eine ganz kleine 
Summe für eine poliklinische Kasse von den Ein- 
geborenen genommen, um etwa den Wert der 
Verband= und Arzneimittel decken zu können. In 
der Südsee wird auf einzelnen Plätzen von den 
Häuptlingen ein Beitrag zu den Kosten der 
Poliklinik an die Regierung durch Ablieferung 
von Kopra bezahlt. Die mit den Polikliniken 
verbundenen Eingeborenenhospitäler sind vielfach 
primitiver Art. Die Eingeborenen lieben im 
allgemeinen freien Zutritt zu ihren Kranken, denen 
fie durch zahlreiche Besuche ihr Mitgefühl bezeigen, 
was nicht immer im Interesse der Schwerkranken 
istdoch ist es kaum möglich, hierin Wandel zu 
schaffen, weil die Kranken nicht zur Aufnahme 
gebracht würden, wenn der Besuch ihrer Freunde 
  
verboten wäre. Auch findet im allgemeinen in 
den Krankenhäusern keine Verpflegung der kranken 
Eingeborenen statt, sondern es bleibt ihren Ange- 
hörigen überlassen, ihnen Essen zu bringen. Daß 
unter solchen ursprünglichen Verhältnissen, die nur 
im Laufe längerer Zeit zu ändern sein werden, 
die Krankenpflege in unserem Sinne manches zu 
wünschen übrig läßt, ist erklärlich. Ich möchte 
zur näheren Illustration davon nur einen Fall 
kurz mitteilen. In Anecho hatte einer der 
Regierungsärzte eine Bruchoperation gemacht und 
wurde wenige Stunden später wegen einer lebens- 
gefährlichen Nachblutung gerufen. Diese war da- 
durch entstanden, daß der Operierte sich aus dem 
Krankenhaus entfernt hatte, um, wie er gewohnt 
war, an der Lagune seine Notdurft zu verrichten. 
Beim Pressen in hockender Stellung hatte sich eine 
Arterienunterbindung gelöst. 
In der Südsee sind die Eingeborenen von 
vielen Krankheiten heimgesucht, in erster Linie 
von Hautkrankheiten, Tinea imbricata, Frambeesie, 
tropischen Hautgeschwüren, die zu ausgedehnten. 
Nekrosen führen, weiter von Geschlechtskrankheiten, 
Katarrhen der Atmungsorgane. Von infektiösen 
Krankheiten kommen hauptsächlich die Influenza 
und Dysenterie hinzu. Sie wissen, daß die Ein- 
geborenen der Südsee zum Teil an Zahl zurück- 
gehen, so daß wegen Erhaltung der Eingeborenen- 
bevölkerung die Regierung Sorge hegt, ganz 
besonders ist dies bei der melanesischen, aber zum 
Teil auch bei der polynesischen Rasse der Fall. 
Nach den neueren Forschungen ist als haupt- 
sächliche Ursache davon die lange Inzucht zu be- 
schuldigen. Wenn einmal eine Epidemie, wie 
Influenza oder Dysenterie, bei ihnen Eingang 
findet, werden viele von ihnen weggerafft. Unter 
diesen Verhältnissen fällt den in der Südsee tätigen 
Regierungsärzten eine schwierige Aufgabe zu, welche 
im Grunde den Zweck verfolgen muß, dem Aus- 
sterben der Eingeborenenbevölkerung entgegenzu- 
wirken. Wenn es richtig ist, daß die lange ge- 
triebene Inzucht die hauptsächlichste Ursache für 
den Rückgang der Bevölkerung bildet, ist die 
Hoffnung, daß eine allmähliche Besserung und 
Erholung der Rasse eintritt, nicht unberechtigt, da 
die durch die deutsche Regierung geschaffene Be- 
endigung der früheren Eingeborenenkriege und 
der zunehmende Verkehr zwischen den einzelnen 
Inseln von selbst im Sinne einer Blutvermischung 
und Blutauffrischung wirkt. Wenn es dann der 
Tätigkeit der Regierungsärzte gelingt, die Krank- 
heiten und Seuchen der Eingeborenen etwas ein- 
zudämmen, ist zu hoffen, daß mit der Zeit wieder 
ein lebenskräftigerer und widerstandsfähigerer 
Nachwuchs erzielt wird. 
In Jap auf den Westkarolinen konnte im 
Mai 1908 ein neuerbautes Hospital eröffnet
	        
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