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Dr. Krämer, der in Begleitung seiner Frau
mit der nach dem Norden Neu-Mecklenburgs ge-
fahrenen „Langeoog"“ über Namatanai südwärts
fuhr, nahm in Muliama die Arbeiten Stephans
auf, die sich besonders auf die Sprache erstreckt
hatten, nachdem die mühsame und zeitraubende
Ordnung der Papiere erfolgt war. Trotz des
großen Fleißes, mit dem der Dahingegangene
seine zahlreichen Aufnahmen gemacht harte, wurde
zum Vergleich ein zweites Vokabular aufgenommen,
wobei viele weitere Einzelheiten zutage kamen.
Es gelang, zwei neue geheime Feste ausfindig zu
machen, eines, Malerra genannt, bei Ausführung
der Narbentatauierung (Rot) mit Tanzschmuck
ausgeführt, das andere auf den Ramär-Plätzen
abgehalten, wenn die Einführung der Jünglinge
in den Männerbund geschieht und sie von Dä-
monen (Rinit) besessen werden. Dann tönen die
Schwirrhölzer viele Kilometer weit durch den
Wald, die Graspfeifen lassen ihre schrillen Pfiffe
ertönen, so daß die Weiber sich geängstigt vor
dem Brüllen des Geistes in ihre Häuser ver-
schließen. Dann sind die Männer sicher, nicht
gesehen zu werden und halten unbehelligt ihr
Schweineessen ab, von dem die Frauen nur wenig
abbekommen. „Wir belügen die Weiber“ sagen
lachend die Eingeborenen.
Ferner gelang es, den Totemismus in der
Hauptsache in seinen großen und kleinen Ab-
teilungen festzulegen.
Muliama ist der Name einer ehemaligen
großen Dorfschaft, die nicht weit vom Landungs-
platz, der nach Dorf und Fluß bei den Ein-
geborenen Kambitengteng heißt, gelegen war.
Vor ungefähr 50 Jahren (es leben heute noch
Greise als Augenzeugen) gab es viele solcher
großen Dörfer, die aber der steten Fehden halber
nicht wie heute am Strande, sondern einige hun-
dert Schritte landeinwärts auf einer Korallen=
kalkstufe von 20 bis 50 m Höhe lagen. Als die
Zeiten sicherer wurden, zogen die Eingeborenen
an den Strand und gründeten die heutigen Dorf-
schaften (von N nach S) Kömbon, Scêna, Varan-
kansan, Piglinbui, Kambitengteng, Varanät, Tam,
Kambamba, Maron, Uilo neben einer Anzahl
ausgestorbener Plätze. Über die Ursachen der
Abnahme der Bevölkerung werden spystematische
Untersuchungen angestellt, die eine zufrieden-
stellende Erklärung versprechen. Es handelt sich
um ein buntes Gemisch von Einwirkungen ver-
schiedener Art auf die soziologische Organisation
des Eingeborenenstaates, so daß eine Abhilfe in
Anbetracht der vorgeschrittenen Auflösung in
Muliama zweifelhaft erscheint.
Diese alten Buschdörfer nahe der Küste hatten
aber nichts zu tun mit den in den früheren Be-
richten erwähnten Dörfern der Lagét oder
Butam (Lagett heißt „Wald"“,), die in zahlreichen
Märschen neu besucht wurden, wobei Dr. Schlag-
inhaufen die stattgehabten Veränderungen fest-
zustellen vermochte und daneben zahlreiche anthro-
pologische Messungen machte. Die fan Butam
haben ein anderes, merkwürdigerweise den poly-
nefischen Sprachen in vielen Wörtern näherstehendes
Idiom als die fanü tinakén „Leute der Küste".
Eines der besuchten Bergdörfer lag 420 m hoch.
Dem Photographen Schilling, der eine Reihe
vorzüglicher Typenaufnahmen herstellte, lag es
ob, die großen Sammlungen von Anir und
Tangga zu verpacken. Die Verschläge erreichten
eine solche Größe, daß der Bau eines riesigen
Bambusfloßes notwendig wurde, um die Stücke
bei Ankunft eines Dampfers rasch verladen zu
können. Das Floß bildet die Freude der Ein-
geborenen, die sich leider zu solchen Taten nicht
mehr aufzuschwingen vermögen. Selbst die schönen
Mon-Boote bauen fsie nicht mehr in Muliama,
seit der Verkehr zu Lande friedlich stattfinden
kann. Auf Anordnung der Kaiserlichen Station
in Namatanai ist neuerdings ein öffentlicher Weg
längs der Küste weit nach Süden angelegt worden,
und der Hafen von Muliama, vor Jahresfrist
noch unbekannt, ist nun auch auf dem Landwege
von Norden aus leicht erreichbar.
Da er der einzige gute Hafen an der ganzen
Ostküste ist, wird er nun auch oft von zahlreichen
kleinen Dampfern und Segelbooten angelaufen,
zumal da an der Hand von Überlieferungen auch
mehrere Quellen in der Nähe des Landungs-
platzes entdeckt wurden, die bestes Trinkwasser in
reichlichem Maße spenden. Die landschaftliche
Schönheit der Bucht von Sena, an deren Ost-
ecke Kambitengteng liegt (zugleich Station und
Hafen), die selten großartige Pracht des Urwaldes
mit seinen bunten Nashornvögeln, Tauben und
Kängerus, das einzigartige Bad unter Waldbäumen
im Strudel der Sinterterrassen des Kambiteng-
tengbaches werden ihre Wirkung auf die See-
fahrer nicht verfehlen.
Es ist ein Verdienst der Marine-Expedition,
im besonderen des leider so früh auf dem Felde
der Wissenschaft gefallenen Marine-Stabsarztes
Dr. Stephan, diesen Platz wissenschaftlich und
wirtschaftlich der Welt erschlossen zu haben; sein
Name wird auf immer mit diesem Platze ver-
knüpft sein.
Durch ein Aufgebot von Polizeisoldaten und
freundlichen Verkehr mit den Eingeborenen ist
die früher recht unsichere Landschaft rasch pazifiziert
worden. Wie das Vertrauen der Eingeborenen
gewachsen ist, ersieht man daraus, daß auch im
letzten Monat mehrere Streitfälle unter den Ein-
geborenen vor den Expeditionsleiter gebracht und
daß die Vergleichsvorschläge stets willig und gern