Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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Dr. Krämer, der in Begleitung seiner Frau 
mit der nach dem Norden Neu-Mecklenburgs ge- 
fahrenen „Langeoog"“ über Namatanai südwärts 
fuhr, nahm in Muliama die Arbeiten Stephans 
auf, die sich besonders auf die Sprache erstreckt 
hatten, nachdem die mühsame und zeitraubende 
Ordnung der Papiere erfolgt war. Trotz des 
großen Fleißes, mit dem der Dahingegangene 
seine zahlreichen Aufnahmen gemacht harte, wurde 
zum Vergleich ein zweites Vokabular aufgenommen, 
wobei viele weitere Einzelheiten zutage kamen. 
Es gelang, zwei neue geheime Feste ausfindig zu 
machen, eines, Malerra genannt, bei Ausführung 
der Narbentatauierung (Rot) mit Tanzschmuck 
ausgeführt, das andere auf den Ramär-Plätzen 
abgehalten, wenn die Einführung der Jünglinge 
in den Männerbund geschieht und sie von Dä- 
monen (Rinit) besessen werden. Dann tönen die 
Schwirrhölzer viele Kilometer weit durch den 
Wald, die Graspfeifen lassen ihre schrillen Pfiffe 
ertönen, so daß die Weiber sich geängstigt vor 
dem Brüllen des Geistes in ihre Häuser ver- 
schließen. Dann sind die Männer sicher, nicht 
gesehen zu werden und halten unbehelligt ihr 
Schweineessen ab, von dem die Frauen nur wenig 
abbekommen. „Wir belügen die Weiber“ sagen 
lachend die Eingeborenen. 
Ferner gelang es, den Totemismus in der 
Hauptsache in seinen großen und kleinen Ab- 
teilungen festzulegen. 
Muliama ist der Name einer ehemaligen 
großen Dorfschaft, die nicht weit vom Landungs- 
platz, der nach Dorf und Fluß bei den Ein- 
geborenen Kambitengteng heißt, gelegen war. 
Vor ungefähr 50 Jahren (es leben heute noch 
Greise als Augenzeugen) gab es viele solcher 
großen Dörfer, die aber der steten Fehden halber 
nicht wie heute am Strande, sondern einige hun- 
dert Schritte landeinwärts auf einer Korallen= 
kalkstufe von 20 bis 50 m Höhe lagen. Als die 
Zeiten sicherer wurden, zogen die Eingeborenen 
an den Strand und gründeten die heutigen Dorf- 
schaften (von N nach S) Kömbon, Scêna, Varan- 
kansan, Piglinbui, Kambitengteng, Varanät, Tam, 
Kambamba, Maron, Uilo neben einer Anzahl 
ausgestorbener Plätze. Über die Ursachen der 
Abnahme der Bevölkerung werden spystematische 
Untersuchungen angestellt, die eine zufrieden- 
stellende Erklärung versprechen. Es handelt sich 
um ein buntes Gemisch von Einwirkungen ver- 
schiedener Art auf die soziologische Organisation 
des Eingeborenenstaates, so daß eine Abhilfe in 
Anbetracht der vorgeschrittenen Auflösung in 
Muliama zweifelhaft erscheint. 
Diese alten Buschdörfer nahe der Küste hatten 
aber nichts zu tun mit den in den früheren Be- 
richten erwähnten Dörfern der Lagét oder 
  
Butam (Lagett heißt „Wald"“,), die in zahlreichen 
Märschen neu besucht wurden, wobei Dr. Schlag- 
inhaufen die stattgehabten Veränderungen fest- 
zustellen vermochte und daneben zahlreiche anthro- 
pologische Messungen machte. Die fan Butam 
haben ein anderes, merkwürdigerweise den poly- 
nefischen Sprachen in vielen Wörtern näherstehendes 
Idiom als die fanü tinakén „Leute der Küste". 
Eines der besuchten Bergdörfer lag 420 m hoch. 
Dem Photographen Schilling, der eine Reihe 
vorzüglicher Typenaufnahmen herstellte, lag es 
ob, die großen Sammlungen von Anir und 
Tangga zu verpacken. Die Verschläge erreichten 
eine solche Größe, daß der Bau eines riesigen 
Bambusfloßes notwendig wurde, um die Stücke 
bei Ankunft eines Dampfers rasch verladen zu 
können. Das Floß bildet die Freude der Ein- 
geborenen, die sich leider zu solchen Taten nicht 
mehr aufzuschwingen vermögen. Selbst die schönen 
Mon-Boote bauen fsie nicht mehr in Muliama, 
seit der Verkehr zu Lande friedlich stattfinden 
kann. Auf Anordnung der Kaiserlichen Station 
in Namatanai ist neuerdings ein öffentlicher Weg 
längs der Küste weit nach Süden angelegt worden, 
und der Hafen von Muliama, vor Jahresfrist 
noch unbekannt, ist nun auch auf dem Landwege 
von Norden aus leicht erreichbar. 
Da er der einzige gute Hafen an der ganzen 
Ostküste ist, wird er nun auch oft von zahlreichen 
kleinen Dampfern und Segelbooten angelaufen, 
zumal da an der Hand von Überlieferungen auch 
mehrere Quellen in der Nähe des Landungs- 
platzes entdeckt wurden, die bestes Trinkwasser in 
reichlichem Maße spenden. Die landschaftliche 
Schönheit der Bucht von Sena, an deren Ost- 
ecke Kambitengteng liegt (zugleich Station und 
Hafen), die selten großartige Pracht des Urwaldes 
mit seinen bunten Nashornvögeln, Tauben und 
Kängerus, das einzigartige Bad unter Waldbäumen 
im Strudel der Sinterterrassen des Kambiteng- 
tengbaches werden ihre Wirkung auf die See- 
fahrer nicht verfehlen. 
Es ist ein Verdienst der Marine-Expedition, 
im besonderen des leider so früh auf dem Felde 
der Wissenschaft gefallenen Marine-Stabsarztes 
Dr. Stephan, diesen Platz wissenschaftlich und 
wirtschaftlich der Welt erschlossen zu haben; sein 
Name wird auf immer mit diesem Platze ver- 
knüpft sein. 
Durch ein Aufgebot von Polizeisoldaten und 
freundlichen Verkehr mit den Eingeborenen ist 
die früher recht unsichere Landschaft rasch pazifiziert 
worden. Wie das Vertrauen der Eingeborenen 
gewachsen ist, ersieht man daraus, daß auch im 
letzten Monat mehrere Streitfälle unter den Ein- 
geborenen vor den Expeditionsleiter gebracht und 
daß die Vergleichsvorschläge stets willig und gern
	        
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