Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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Die Verfasser des Code haben darin das Ein- 
geborenen-Recht nicht vollkommen in der von den 
Eingeborenen ausgebildeten Form aufgenommen, 
sondern, soweit es ihnen erforderlich erschien, Ande- 
rungen vorgenommen und Zusätze gemacht (pogl. 
Preamble des Law 19 of 1891). 
Der Code zeigt demnach die Stellung der 
Gesetzgebung zum Eingeborenen-Recht einerseits an 
dem daraus unmittelbar Ubernommenen, anderseits 
an den Anderungen und Zusätzen. 
Von diesem Gesichtspunkt aus wollen wir im 
Anschluß an den Code die wichligsten darin be- 
handelten Rechtsmaterien untersuchen.) 
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedarf 
es einer Quelle für die Kenntnis des Eingeborenen= 
Rechts in seinen reinen, von jeglicher Anderung 
seitens fremder Elemente freien Form. Eine Auf- 
zeichnung des Eingeborenen-Rechts von Natal in 
solcher Form gibt es nicht, aber der Report gibt 
manchen Fingerzeig, und außerdem gibt Maclean?) 
in seinem „Compendium of Kafir Laws and Cu- 
stoms“ eine Aufzeichnung des Eingeborenen-Rechts. 
Allerdings behandelt diese Sammlung nur die Ein- 
geborenen Britisch Kaffrarias, d. h. des Landes 
zwischen dem Great Fish River und dem Umtata, 
aber es herrscht zwischen den Rechtsinstituten der 
Stämme gleicher Rasse naturgemäß an sich eine 
gewisse Ahnlichkeit, und außerdem besteht die Ein- 
geborenen -Bevölkerung Natals (ohne Zululand) 
im wesentlichen aus Kaffern, die aus dem Süden 
eingewandert sind.3) Es ist somit die Verwandt- 
schaft zwischen den Eingeborenen Natals und denen 
Britisch Kaffrarias eine besonders nahe. 
1. Die Stammesverfassung. 
Das Verständnis der Stammesverfassung der 
Eingeborenen ist die Grundlage für das weitere 
Verständnis des Rechtslebens der Eingeborenen. 
Was die Stammesverfassung in großen Zügen bietet, 
spiegelt sich zum Teil im engen Kreise des einzelnen 
Kraals wieder. Das Stammessystem in seiner 
reinen Form ist bereits oben in seinen Grundzügen 
charakterisiert, es gilt jetzt zu untersuchen, welche 
Gestaltung es durch die Gesetzgebung der Kolonie 
erfahren hat. 
Die Stammeshierarchie bei den Kaffern hatte 
solgende Stufen: Oberhäuptlinge, Häuptlinge, Unter- 
häuptlinge, Dorfälteste und Kraalsväter. ) 
Der Codes) kennt einen „Supreme Chief“ oder 
1, Dabei wird nicht nur der Code selbst. sondern 
es werden auch seine Amendemems und andere im 
Zusammenhange stehende Gesetze berücksichtigt werden. 
*?) Maclcan war in den fünfziger Jahren des 
vorigen Jahrhunderts Chies Commis#ioner in Britisch- 
Kaffraria und besorgte das KRompendium im Auftrage 
des Gouverncurs der Kapkolonic. Es hat also eine 
gewisse amtliche Antorität. 
Agl. The Jalives of Somh Africa, 
4 Dgl. lihe Jatives of South Africa, 
5) Code Scc. 32, P, 10, 13. 
.15 
Z. 15 
S. 25. 
u. 16. 
  
Oberhäuptling über sämtliche Eingeborene der 
Kolonie, ferner Häuptlinge (chieks), die einen 
ganzen Stamm oder den Teil eines solchen unter 
sich haben. Sie besitzen ihr Amt entweder erblich 
unter Anerkennung desselben durch den Oberhäupt- 
ling oder sind von diesem angestellt. Nach den 
Häuptlingen kommen im Code die „districthead- 
men“, sie entsprechen ungefähr den Unterhäupt- 
lingen und verwalten unter der Kontrolle des 
Häuptlings einen einzelnen Bezirk des Stammes- 
territorinms. Eine Erblichkeit dieser Stellung kennt 
der Code nicht; die Distriktshauptleute werden viel- 
mehr vom Häuptling ernannt und angestellt. Die 
letzte Stufe der Hierarchie bilden die „Kraalheads“ 
(Kraalsväter), sie sind das natürliche Oberhaupt 
einer in einem oder mehreren Kraals zusammen- 
gefaßten Familie. 
Der Code hat die Stellung und Funktionen der 
Glieder dieser Hierarchie durch eingehende Vor- 
schriften bestimmt. 
a. Der Oberhäuptling. 
Die Würde des Oberhäuptlings ist in Natal 
dauernd mit der Stellung des Gouverneurs der 
Kolonie verbunden (Secc. 5 des Code). 
Der Zweck dieser Anordnung war einmal, der 
Stellung des Gouverneurs ein dem Eingeborenen 
verständliches Gewand zu geben und feiner, dem 
Gonverneur gewisse Verwaltungsbefugnisse, die dem 
eingeborenen Oberhäuptling zustanden, aber eigent- 
lich außerhalb der Befugnisse eines Gouverneurs 
lagen!) in die Hand zu geben. ) 
Die wichtigsten Befugnisse des Gouverneurs als 
Oberhäuptling 5) sind folgende: 
Er kann Häuptlinge einsetzen und Stämme nach 
den Bedürfnissen besserer Verwaltung zerlegen oder 
zusammenfassen. Unter Mitwirkung des Executive 
Council der Kolonie darf er auch Häuptlinge wegen 
politischer Verbrechen, Unfähigkeit oder aus sonstigen 
triftigen Gründen absetzen, und sie dann mit ihrer 
Familie und ihrem Eigentum in einen anderen Teil 
der Kolonie verpflanzen. 
Er ist feiner befugt, den Häupilingen und 
Distriktshauptleuten die Stellung Bewaffneter zum 
Schutze der Kolonie oder zur Unterdrückung von 
Aufruhr aufzuerlegen und von allen Eingeborenen 
die persönliche Leistung solcher Dienste zu verlangen. 
Ebenso steht es in seiner Macht, Eingeborene 
zu Dienstleistungen für öffentliche Arbeiten im 
Interesse der Kolonie auch gegen ihren Willen 
heranzuziehen. 
1) Die Stellung des Gonverneurs erläuert Jenkins 
S. 99 f. 
2) Vgl. Sec. 219 des Reports und Scc. 7 des 
Law 144 of 1887 „0 uamend ihe untive Administration 
Law 1875“. 
3) Ugl. Code Scc. 32 bid 12.
	        
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