Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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des Areals, geschaffen werden würden, auf sehr viel 
billigere Baumwolle ist nach dem Gesagten nicht 
zu rechnen. Aber auch das Mehr an Baumwolle, 
von dem ich eben gesprochen habe, wird nicht nur 
aufgehalten durch den Mangel an Arbeitskräften, 
sondern wird auch aufgehalten durch andere 
Feinde, wie z. B. den mexikanischen Rüsselkäfer 
,Bollweevil“), gegen den man dort, entgegen ge- 
wissen Meldungen, die aus Amerika gekommen 
sind, ein wirksames Schutzmittel nicht gefunden hat. 
Gerade dieses Insekt hat besonders große Ausfälle 
in den Ernten verursacht und dringt anscheinend 
unaufhaltsam über den Mississippi ostwärts vor. 
Wenn nun auch nach und nach an Stelle jener 
unrationellen Kontrakte und Methoden bessere 
treten werden, was bei der geistigen Unbeweglich- 
keit jener Millionen von Negern, die nun einmal 
Baumwolle zu bauen verstehen und nichts anderes, 
lange Zeit dauern muß, und wenn nach und 
nach kapitalkräftigere Unternehmer auch im Baum- 
wollbau eine größere Rolle spielen werden, so 
liegt gerade darin wieder eine andere Gefahr 
für den Verbraucher am Weltmarkt, nämlich die, 
daß ihm durch bessere Organisation der Verkäufer 
die Preise weiter in die Höhe gesetzt werden. 
Hierbei hilft der große Selbstverbrauch in Amerika, 
der die Mengen, die dem Weltmarkt zugeführt 
werden können, außerordentlich einschränkt. Es 
find ja schon mancherlei Versuche gemacht, die nicht 
durchaus geglückt sind. Daß sie für eine gewisse 
Zeit wohl den Weltmarkt diktieren können, haben 
die Corner von Privatspekulanten bewiesen. 
Während aber früher mangels entsprechender 
Lagerhäuser oder weil die Banken ihr Geld 
haben wollten, oder weil eine genaue Kalkulation 
den Baumwollpflanzern fern gelegen hat, die Baum- 
wolle unmittelbar nach der Ernte auf den Markt 
geschafft wurde, der wegen der Masse des vor- 
handenen Materials und der Notwendigkeit, es 
fortzubewegen, unter einem gewissen Preisdruck 
stand, ist nunmehr das genossenschaftliche Zu- 
sammengehen der Produzenten, die Herstellung 
von Baumwollagerhäusern, die Bevorschussung 
auf Warrants und ein gesteigertes ökonomisches 
Verständnis am Werke, um auch auf dem Welt- 
markte solche Chancen abzupassen, wie sie dem 
Verkäufer, der Genossenschaft usw., günstig er- 
scheinen. Daß eine solche Organisation, die die 
Tendenz hat, die Preise zu erhöhen, eine Annehm- 
lichkeit für den europäischen Konsumenten, der 
von ihr abhängig wird, bilden könnte, wagt wohl 
niemand zu behaupten. Zu welchen Konsequenzen 
diese Situation führen wird und schon seit einer 
Reihe von Jahren geführt hat, empfinden die 
Spinner am eigenen Leibe, mehr noch vielleicht 
als der Fabrikant, der Arbeiter. 
Ehe ich die Darstellung der amerikanischen Ver- 
  
hältnisse verlasse, will ich nicht verfehlen, auch auf 
das große Interesse, welches sowohl die heimische 
Landwirtschaft wie die heimische, im wesentlichen 
auf Auslandsrohstoffe angewiesene Olmüllerei 
an der Lösung unserer Frage hat. Jedem Ballen 
Faserbaumwolle entspricht etiwa ½ t Baumwoll= 
saat. Einem deutschen Baumwollbedarf von 
2200 000 Ballen also 1 100000 t Saat! Diese 
enthält etwa 75 v. H. hochwertiges Futtermittel 
8325 000 t und etwa 15 v. H. zur Speisefett- 
bereitung und Seifenindustrie verwendbares Ol, 
also etwa 165.000 t dieser wichtigen Verbrauchs- 
stoffe. Der Wert einer Tonne Saat ist etwa 100./ 
in normalen Zeiten, d. h. bei einer Deckung des 
Heimatsbedarfes an Baumwolle aus den Kolonien 
würden noch für allein 100 Millionen Mark 
Nebenprodukte der deutschen Landwirtschaft und 
Industrie nutzbar gemacht werden können. 
Wenn auch die ganze Schärfe der vorstehend 
gekennzeichneten Situation erst in den letzten 
Jahren hervorgetreten ist, so haben doch die vor- 
ausschauenden Kaufleute aller Nationen schon 
seit langem die Notwendigkeit betont, neue 
Produktionszentren zu suchen. Und wohin sollten 
sich, nachdem die Welt durch die Abmachungen 
der 90 er Jahre definitiv verteilt erschien, die 
Blicke der verschiedenen Nationen anders wenden, 
als nach den großen, ihnen besonders in Afrika 
zugefallenen Gebieten? So hat England und 
Frankreich, so hat Deutschland die Versuche auf- 
genommen, um zunächst in roher Weise festzu- 
stellen, ob diese neu erworbenen Länder wohl 
geeignet sein möchten, in größerem Umfange dem 
drohenden Rohstoffmangel auch auf diesem Gebiete 
abzuhelfen, trotzdem Afrika nur in Agypten, wo 
die Kultur auch keineswegs eine alte ist, Baum- 
wolle produzierte. Die Versuche sind in England 
durch die British Cotton Growing Association, 
in Frankreich durch die Association Cotonnière 
Coloniale, ferner in Italien, Belgien usw. und 
in Deutschland teils durch die Kolonialregierung, 
teils durch das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee 
vorgenommen worden; das letztere eine Körper- 
schaft von gemeinnützig denkenden, kolonialfreund- 
lichen Personen aus Industrie und Wissenschaft, 
dem bisher der größte Teil der Aufklärungsarbeit 
in Deutschland zugefallen ist. In England haben 
reiche Spenden Privater und Industrieller, ins- 
besondere aber auch Beiträge der englischen 
Arbeiterschaft stattgefunden. . 
Die entstehenden Lohnausfälle sind selbstver- 
ständlich enorm und die organisierte englische 
Arbeiterschaft hat deshalb auch schon seit langem 
mit Beiträgen, die bis zum Arbeitsverdienst eines 
Tages per Monat gehen, nicht gezögert, die Ver- 
suche zu unterstützen, welche eine besondere 
englische Vereinigung seit Jahren vornimmt, um
	        
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