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sorge ist in der Beschränktheit unserer Hilfsmittel
gegeben. Zum erfolgreichen Kampfe bedarf es vor
allem der Streiter und des Geldes. Wir können
aber in den Kolonien nicht sagen wie daheim: so
und so viel müssen wir haben, um dieses oder jenes
Ziel zu erreichen, sondern: so viel können wir un-
gefähr erhoffen, von der Heimat her bewilligt zu
erhalten und damit müssen wir auskommen. Was
von dieser Summe nicht bestritten werden kann,
hat einfach unberücksichtigt zu bleiben oder ist für
später aufzuschieben. Ahnlichen Maximen müssen
natürlich nicht nur wir, sondern auch andere kolo-
nisierende Völker huldigen, wiewohl die für hygie-
nische Zwecke aufgewendeten Mittel in denjenigen
englischen und auch französischen Kolonien West-
afrikas, deren Verhältnisse sich mit denen der
unseren vergleichen lassen, doch größer, oft sogar
ganz erheblich größer sind. Es ist natürlich schwer,
zahlenmäßig festzulegen, welche Aufwendungen
vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus sich für
volksgesundheitliche Zwecke rechtfertigen lassen, bis
zu welcher Höhe sie ein gut angelegtes Kapital dar-
stellen würden. Immerhin sei ein kleines Exempel
gestattet. Man kapitalisiere für Togo und Ka-
merun 10 000 Eingeborene, Männer, Frauen,
Kinder, die wir jährlich im Durchschnitt durch
Pockenepidemien verlieren. Man setze den Kapi-
talswert eines einzelnen Eingeborenen hinsichtlich
Steuerkraft, Produktionsfähigkeit, Kaufkraft oder
als Arbeiter auf Plantagen, als Träger oder
schließlich auch nur als Familienvater oder Mutter
auf den Betrag von 10 Mark jährlich fest und
nehmc an, daß der Dahingeraffte im Mittel noch
zehn Jahre gelebt hätte. Das würde einen jähr-
lichen Verlust an Wirtschaftskapital von einer
Million bedeuten. Wir sind nun gerade den
Tocken gegenüber in der ausnahmsweise günstigen
Lage, mit aller Bestimmtheit behaupten zu können,
daz die erste einigermaßen allgemeine Durch-
impfung des Landes auch ihr Erlöschen bringt und
veriodische Wiederimpfungen sie dauernd fern-
halten, wie es für einige Küstenplätze ja bereits
erreicht ist. Und wieviel wird jährlich für die
Turchimpfung Togos und Kameruns ausgegeben?
— Es ist dies natürlich ein ziemlich willkürliches
Rechenerempel. Aber eins ist sicher bei ihm, die
dabei eingesetzten Zahlen haben als Mindestwerte
iu gelten! Die Rücksichtnahme auf das Budget der
Kolonie also ist die eine große Unabänderlichkeit,
die unserm Tempo im Fortschritt volksgesundheit-
licher Fürsorge für die Eingeborenen ein vorläufig
unübersteigbares Hindernis setzt. Hier müssen wir
uns mit der Zukunft trösten, die eine größere Ren-
labilität der Kolonien und dann vielleicht eine
größere pekuniäre Bewegungsfreiheit in abseh-
barer Zeit erhoffen läßt.
Anders steht es mit den Schwierigkeiten, die
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im Rahmen der verfügbaren Mittel die Einord-
nung der Volkshygiene ins übrige Wirtschafts-
programm der Schutzgebiete bereiten kann. Diese
sind keineswegs unvermeidlich. Das, was an erster
Stelle sie überwinden läßt, ist die persönliche,
gegenseitige Rücksichtnahme der dabei in Betracht
kommenden Instanzen; beim Verwaltungsbeamten
volkshygienisches Verständnis, beim Arzte Be-
schränkungstalent in seinen Anforderungen. Für
den Arzt ist eine solche Beschränkung nicht immer
leicht, denn sie bedeutet für ihn einen teilweisen
Verzicht gerade auf das, was er ärztlich für er-
strebenswert halten muß. Jedenfalls muß vom
kolonialen Volkshygieniker verlangt werden, daß
er keine unerfüllbaren Forderungen stellt. Er hat
wohl eine Weiterentwicklung der Eingeborenen-
hygiene fest im Auge zu behalten mit Beseitigung
vorhandener und Verhütung drohender Schäden
des Volkswohles, aber er darf keine Neuerungen
verlangen, die revoltierend in das ganze übrige
Verwaltungsprogramm einbrechen. Wir können
nicht in wenigen Jahren mit unsern beschränkten
Hilfsmitteln das erreichen, was alte Kulturvölker
in jahrzehntelangen Mühen unter Aufwendung
von Riesensummen auf diesem Gebiete schafften.
Der Volkshygieniker muß wie jeder andere Kolo-
nialbeamte warten können, wenn vielleicht auch
gerade ihm besonders schwer wird, diese Kunst zu
üben, wo es sich um den Verlust von vielen
Menschenleben handelt. Tardiora sunt remedia
qduam mala. Der Abstand zwischen unseren kolo-
nialhygienischen Zielpunkten und dem zur Zeit
Erreichbaren ist freilich groß, aber wir dürfen uns
damit trösten, daß er sich von Jahr zu Jahr ver-
ringert. Wie auf manchen anderen Gebieten kolo-
nialer Entwicklung muß auch den Arzt der hoff-
mungsvolle Ausblick in die Zukunft über eine nicht
sorgenfreie und wunschlose Gegenwart hinweg-
helfen. Im gegenseitigen Verstehen und Rücksicht-
nehmen der Beteiligten ist also ein Weg gegeben,
um volkshygienische Arbeit zu erleichtern. Leider
läßt er sich nicht bestimmt vorzeichnen. Es ist aber
nicht der einzige Weg; es gibt noch andere, die zu
erfolgreicher Entwicklung der Volkshygiene hin-
leiten. Letztere ist zweifellos in sehr hohem Grade
abhängig von einem planmäßigen Vorgehen. Wir
müssen uns deshalb ganz unzweidentig über die
beiden Fragen klar werden: was streben wir in
der Eingeborenenhygiene unserer Kolonien an,
und wie wollen wir das Erstrebte erreichen? Die
letztere Frage wird beantwortet durch eine zweck-
mäßige Organisation aller volkshygienischen Ar-
beiten. Wenn schon auch ihre richtige Lösung ein
selbstverständliches Erfordernis für den Erfolg ist,
so interessiert sie uns hier weniger, weil sie nur
gegeben werden kann nach Beantwortung der
ersteren, der kolonialwirtschaftlich ausschlag-