Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIII. Jahrgang, 1912. (23)

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Die Kreditorganisation in den deutschen Schutzgebieten. 
Mit besonderer Berüchsichtigung der in anderen Ländern gemachten Erfahrungen. 
Referat des Geheimen Regierungsrats Professor Dr. Soepfl. 
(Mit acht Anlagen.) 
Eigenart und Probleme des kolonialen 
Kreditwesens überhaupt. 
IJn den wirtschaftlich erst zu erschließenden Neu- 
ländern wie den Kolonien werden an Kreditinstitute 
andere Anforderungen gestellt als in den alten 
curopäischen und neuen amerikanischen JIndustrieftanten. 
Die Urproduktion, vielfach durch noch unberechenbare 
natürliche Einflüsse auf schwankender Grundlage, be- 
herrscht die Volkswirtschaft, und oft ist von der mehr oder 
weniger reichen Ernte oder Okkupation eines einzigen 
Produktes das ganze wirtschaftliche Leben im höchiten 
Maßsze abhängig. Die Befriedigung des Rreditbedürfnisses 
in diesen Ländern, auch des rein kaufmännischen, bringt 
den Glänbigern nicht bloß größeres Risiko und ent- 
sprechend höhere Zinsen, sondern stellt auch an die 
Organisation des Kreditwesens zum Teil ganz nene 
Aufgaben oder verlangt die Preisgabe sonst üblicher 
Normen und Gebräuche. So ist z. B. die Frist für 
Lombarddarlehen. die bei uns im allgemeinen drei 
Monate beträgt, in französischen und holländischen 
Nolonien eine wesentlich höhere, bis zu acht Monaten. 
Auch weitgehende Rechte von Papiergeldaus- 
gabe werden in Kolonien und kolonialen Ländern den 
Banken erteilt, um den wegen der Ernteverhälltnisse 
zeitweise jehr gesteigerten Geldbedarf zu befriedigen. 
Diec vielfach übliche Verlängerung der Fristen im kauf- 
männischen Kreditwesen erfordert aber persönliche 
Nenmnuis der Klienten, die ihrerseits wieder Gründung 
von Filialen und Agenturen an Orten nötlig macht. 
die sonst einem Rreditinstitut wenig bieten würden. 
Das System der nordamerikanischen Natmnal Banks. 
nach welchem schon sehr kleine lokale Kreditinstitute 
gegen Ointerlegung von Staatspapieren Noten aus- 
geben dürfen, um in einem neu zu erschließenden Ge- 
biete Umlausomittel zu schaffen, hat sich in der kolo- 
nialen Erschließungszeit der Vereinigten Staaten von 
Nordamerika gewiß nützlich erwiesen., deshalb auch in 
anderen Kolonien, z. B. in Südafrika, Nachahmung 
gefunden, während es für die höher entwickelte heutige 
Volkowirtschaft der Vereinigten Staaten von Nord- 
amerika veraltet erscheint und jetzt auch durch ein 
anderes, zentralisierteres System abgelöst werden soll. 
Die Frage, ob man das Recht der Notenausgabe in 
Kolonien ebenso strenge von einer engen Beschräukung 
der Kreditinstitute auf bestimmte Geschäftszweige ab- 
hängig machen soll wie in den Mutterländern, hat 
schon manche Kommissionen beschäftigt, die zur Unter- 
suchung der Verhöälinisse notleidender Nololonialbanken 
eingesetzt worden sind. Im allgemeinen dürfte die 
Frage nach den gemachten Erfahrungen dahin zu be- 
amworten sein, daß die Beschränkungen in der Ge- 
schäftogebahrung der kolonialen Notenbanken nur wenig 
von den im Mutterlande üblichen Bestimmungen für 
Notenbanken abweichen dürfen. 
Ein anderes allgemeines Problem des kolonialen 
Kreditwesens ergibt sich durch die Frage, ob es zweck- 
mäßiger ist, zentrale Kreditinstitute für mehrere oder 
sämtliche Kolonien eines Staates zu errichten oder das 
Kreditwesen in den ein zelnen Nolonien lokal zu organi- 
sieren. Für das gentralinstitut wird geltend gemacht, 
daß die Risiken, welche in den einseitigen wirtschaftlichen 
  
Verhältnissen ein zelner Kolonien liegen, besser ausge- 
glichen werden können, daß die Leitung den oft schäd- 
lichen Einflüssen gewisser Interessentengruppen in den 
Kolonien entzogen wird. ferner, daß ein solches IJn- 
stitur mit dem Sitze im Mutterlande sich leichter und 
billiger Kapital beschaffen könne als ein lokales Kre- 
ditinstitut. Gegen die demralisierung spricht die Ker- 
schiedenartigkeit der wirtschaftlichen Verhälinisse in den 
einzelnen Kolonien. In der Praris bestehen beide 
Systeme nebeneinander; die Einseitigkeit lotaler Kre- 
ditinstitute wird aber meist gemildert durch eine Zu- 
sammenfassung wenigstens einiger benachbarter oder 
z. B. an der gleichen Rüfte gelegener Rolonien für den 
Geschäftsbereich eines Institutes. 
Das landwirtschaftliche Kreditwesen in 
den Kolonien überhaupt. 
Besonders wichtige Aufgaben stellt das landwirt- 
schaftliche Kredinwesen in den Kolonien, die übrigens 
nicht bloß in den deutschen Schutzgebieten. sondern auch 
vielfach in den Kolonien anderer Staaten noch nicht 
völlig gelöst sind, an deren Löfung aber gerade gegen- 
wärug in vielen Kolonialstanten auf das eifriaste 
gearbeitet wird. Die Organisation des landwirkschaft-- 
lichen Kredites in den Kolonien ist eine der wichtigsten 
Zeitfragen geworden, die mit anderen volkswirtschaft- 
lichen Problemen der Gegenwart, wiec der Versorgung 
unserer Industrie mit kolonialen Rohstofssen. namentlich 
Baumwolle. im innigsten zusammenhange sieht. Es 
ist kein Zufall, daß die Fragen des landwirtschaftlichen 
Kreditwesens erst auf einer höheren Siuse der kolonial- 
politischen Entwicklung zur auereichenden Losung ge- 
langen, denn gerade dieses Gebiet stellt dic schwierigsten 
Aufgaben, die vielfach nur mit weitgehender Staats- 
hilfe zu lösen sind. Ein Uberblick über die Organi- 
sation des kolonialen Banukwesens in den wich- 
tigeren Kolonialreichen der GZegenwart läßt bald die 
Lücken erkennen, die bezüglich des landwirschaftlichen 
Kreditweseus fast überall noch vorhanden sind, und die 
daran anschließende Betrachtung der derzeitigen Be- 
strebungen zur Förderung des landwirtschaftlichen 
Personal-, Meliorationd= und Hypothekar- 
kredits in den wichtigeren Kolonien wird geigen, welche 
Wege sich bieten dürften, diese Lücken aus ufüllen. 
Das koloniale Bankwesen und dic koloniale 
Landwirtschaft. 
In den britischen Kolonien, sowohl denen mit 
Selbstwerwaltung wie in den Kronkolonien, arbeiten 
etwa 30 Banken mit dem Hauptsitz in London mit 
einem Gesambkapital von etwa 50 000 000 K und 
einem Aktivbestand von etwa 350 000 000 L. Dazu 
kommen Lokalbauken in den einzelnen Kolonien, 
namentlich auch Sparbanten, die durch Postsparkassen 
in einigen Kolonien unterstützt werden. Die meisten der 
Kolonialbanken außerhalb Indiens, wo die Regierung 
selbst Noten ausgibt, sind zugleich Notenbanken. In 
Indien finden sich anußer den großen englischen kaufmän- 
nischen Bankinstituten des Ostens die drei Residentschafts- 
banken und Regierungssparbanken, welche die Erspar- 
nisse der Inder sammeln. Alle diese Banken befriedigen 
aber nicht die Kreditbedürfnisse der Landwirtschaft, ja.
	        
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