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ich den Wasserweg. Ich konnte auch keine Träger
mehr bekommen für die Fußtour; alle fürchteten
sich vor dem immer näher kommenden „bila“
(Krieg). Einige Schüler, die bis dahin meine
neuen Begleiter waren, baten mich unter Tränen,
sie doch jetzt zu beurlauben; sie hätten so große
Angst vor den Kugeln, die uns sicher treffen
würden; wenn der Krieg vorbei wäre, dann
wollten sie gern wieder überall mit mir hinziehen.
Als auch noch die Mütter schluchzend und flehend
herbeikamen, ihre Söhne doch nicht in den Tod
zu führen, gab ich nach und nahm nur zwei be-
herzte Jungen mit, die mich über das Wasser
rudern wollten, und einen schwarzen Hilfslehrer,
der das Kanu wieder zurückbringen sollte. Als
ich Abschied nahm, kamen die alten Christen und
legten mir bittend nahe, ich möchte doch dableiben,
bei ihnen sei ich gut aufgehoben. Ich fände auch
kein Kanu an der Küste; denn man hätte alle im
Busch versteckt, aus Furcht, sie würden genommen
werden. Doch ich mußte nach Sodiko, denn
auch dort waren Christen und erwarteten sehn-
süchtig einen Priester; desgleichen wollte ich dort
die beiden oberen Schulklassen neu einrichten. So
zog ich mit meiner zusammengeschmolzenen Kara-
wane an den Strand; es war gegen Abend.
Tatsächlich waren alle Kanus verschwunden. Doch
bald hatten wir eins im Busch versteckt gefunden.
Wir schleppten es zum Wasser. Da es ziemlich
klein war, hatten wir große Mühe, außer uns
noch drei Kisten und das Fahrrad unterzubringen
und dabei über dem Wasserspiegel zu balancieren.
Jeder, auch der gleichmäßigste Ruderschlag brachte
Wasser und bald sahen wir, daß das Kanu, in-
folge seiner jedenfalls schon längeren trockenen
Lage auf dem Lande, auch am Boden und an
den Seiten undicht war und Wasser faßte, so daß
ich sortwährend ausschöpfen mußte, um nicht un-
liebsame, allzu nahe Bekanntschaft mit dem Wasser
machen zu müssen. Wir fuhren nicht den ge-
wöhnlichen längeren Weg von Dibombari nach
Sodiko, sondern einen geheimen kleinen Kriek,
der den Dibombari-Kriek mit dem Bonendale-
Flusse verbindet. Jenseits dieses sogenannten
Bonendale = Flusses lag Sodiko. Wir fuhren
absichtlich diesen Schleichweg, weil wir hörten,
daß bereits armierte englische Fahrzeuge am
Ausgange des Dibombari-Krieks sich herumtrieben
und den Durchgang versperrten. Auf diesem
Kanu konnten wir indessen nicht weiter gelangen.
Ich gab deswegen den Ruderern die Anweisung,
das Kanu samt den Kisten zurückzuziehen nach
Dibombari; ans Land konnten wir nicht wegen
des zu tiefen Uferschlammes und Gestrüppes. Es
blieb mir schließlich doch nichts anderes übrig,
als in den tiefen Schlamm zurückzuwaten; denn
warten konnte ich nicht lange, da das hohe Wasser
bald kommen konnte und es sehr gefährlich war,
in meinen ohnehin schon durchnäßten Kleidern in
der kühlen Nacht länger ruhig sitzen zu bleiben.
Wir brauchten einige Stunden, bis wir uns durch
die Dunkelheit, durch den Schlamm und über
die im Schlamm liegenden Bäume und Aste
durchgearbeitet hatten. Schwimmen war in dem
Schlammwasser unmöglich. Bald trug das Kanu,
das wir hinter uns herzogen, auch die Kisten
nicht mehr, so daß die Schwarzen diese tragen
mußten oder vielmehr hinter sich herschleppten.
Wir atmeten auf, als wir von weitem den Strand
von Dibombari schimmern sahen. Wie ich aus-
sah bei meiner Ankunft am Land, läßt sich nicht
beschreiben: voll von Morast von oben bis unten
und die Kleider in der Kiste, die durch das Herum-
zerren noch dazu aufging, waren nicht besser;
die Schuhe, die ich vorher auszog, waren auch
nicht mehr zu sehen. Ich mußte meine Kleider
förmlich herunterreißen, badete mich an einer
tieferen Stelle und band mir wie die Schwarzen
ein weißes Bettuch um die Lenden, das ich mir
aus einer schwarzen Hütte hatte holen lassen.
Wir suchten nun ein anderes, größeres Kanu,
packten die Kisten samt den nassen Kleidern auf
und fuhren wieder fort. Unterdessen war auch
schon die Flut eingetreten, so daß wir gute Fahr-
straße hatten. Als wir an die Stelle kamen, wo
der Kriek in den breiten Bonendale-Fluß mündet,
hörten wir Stimmengewirr und sahen mehrere
umherkreuzende Fahrzeuge. Wir schwebten in
großer Gefahr, angeschossen zu werden; denn die
deutschen. Fahrzeuge der Flußpolizei ließen nachts
kein Kanu passieren, und waren es feindliche
Barkassen — wie sich's tatsächlich nachher heraus-
stellte —, so hatten wir noch größere Aussicht,
für Spione gehalten zu werden und eine Gewehr-
salve oder einen Blitzguß aus einem Maschinen-
gewehr zu bekommen. Doch da wir von Sodiko,
meinem Reiseziele, nicht mehr weit weg waren,
so wollte ich auf keinen Fall zurückkehren, sondern
ergriff selbst ein Ruder, kommandierte leise und
.. wir schossen durch die Wellen unbemerkt quer
über den Fluß, wo wir uns im Schatten des
Ufergestrüppes hindurchduckten, zur Einfahrt nach
Sodiko.
Als wir ankamen und den Uferhügel zum
Dorfe hinankletterten, war es Mitternacht und
alles im Schlafe. Doch bald wurde es lebendig,
als die Ankunft des Paters bekannt wurde. Die
Christen schlichen neugierig herbei und wollten
anfangs mich gar nicht erkennen in meiner dürf-
tigen Kleidung. Als ich sie jedoch ansprach und
ihnen kurz den Grund meines so späten Ein-
treffens und meines Aufzuges darlegte, weinten
sie fast vor Mitleid: sie brachten mir sofort Tücher
und lange Frauenröcke und bereiteten ein Feuer