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zwei Engländer mit mehreren Soldaten und
nahmen die Station ein. Sofort wurde Beschlag
gelegt auf die beträchtlichen Proviantvorräte, wie
auch auf mein Groß= und Kleinvieh, alles zu-
sammen im Werte von mehreren tausend Franken.
Requisitionsscheine wurden keine ausgestellt. Auch
drangen die Soldaten gleich in die Gärten ein
und holten sich Früchte und Gemüse, durchwühlten
auch den Kartoffelacker und nahmen daraus, was
vorhanden war. Wegen der anderen Sachen auf
unserer Station versicherten die Engländer, es
werde alles so bleiben, wie wir es verlassen.
Das Haus werde abgeschlossen und bewacht. Daß
man diesen Versprechungen nicht ganz trauen
durfte, ging schon daraus hervor, daß nach An-
gabe von Frau Missionar Sch. der gleiche Herr,
der die Versicherung abgab, aus ihrem Wohn-
zimmer heraus ein Fernglas in seinen Taschen
verschwinden ließ. Eine Taschenuhr verschwand
ebenfalls. Auch kamen bald welche von unseren
farbigen Angestellten daher mit der Klage, die
Soldaten hätten dem einen seine Uhr wegge-
stohlen, dem andern sein Geld und sie wären imn
die Wohnräume unseres Dienstpersonals einge-
drungen und hätten sich dort angeeignet, was
ihnen gefiel. Ferner hat meine Frau nachher
auf dem Wege nach der Küste zu schon Gegen-
stände aus unserem Hause im Besitz von Eng-
ländern und ihrem schwarzen Anhange gesehen,
wie z. B. einen Madeirastuhl, eine Küchenschürze
und einen Teppich aus unserem Kinderbettchen.
Nach der Einnahme unserer Missionsstation
nahmen die Engländer Missionar Sch. und Herrn
Dr. Häberlin auch als Gefangene gleich mit
nach Nkongsamba, während die übrigen, zwei
Männer und fünf Frauen, vorläufig dableiben
durften, bis die Engländer uns, wie sie sagten,
nach drei bis vier Tagen von dort zurückbringen
und dann alle miteinander die Reise nach Duala-
antreten würden. Man ließ meine Frau und
die anderen Stationsgenossen im Glauben, wir
würden in Duala wohl auf ein Schiff kommen,
könnten aber nach einigen Wochen wieder auf
unsere Station zurückkehren. Im weitern wurde
bestimmt, daß pro Person an Kleidern nur eine
Traglast mitgenommen werden könne.
Eine Viertelstunde hinter unserer Station
schlugen die Engländer an jenem Abend — es
war der 9. Dezember — ihr Lager auf. Vorher
kam es aber noch zu einem Gefecht, bei welchem
sie die Kanonen aufstellten und zu schießen be-
gannen. Während dieser Kanonade befanden wir
Gefangenen uns nahe hinter den Geschützen in
einer äußerst ungemütlichen Situation. Es dauerte
ziemlich lange, bis wir in angemessene Entfernung
zurückgebracht waren.
Am andern Tage zogen die Engländer in
———
Nkongsamba ein, wo wir in einer Faktorei
untergebracht wurden und kein Essen bekamen.
Auch sonst war die Behandlung unwürdig und
brutal. Durften wir doch keinen Schritt ohne
Erlaubnis aus dem Hause heraus und wurden,
wenn wir austreten mußten, von zwei Soldaten
mit aufgepflanzten Bajonetten begleitet, wie wenn
wir Verbrecher wären. Mir und meinen Stations-
enossen war gar keine Gelegenheit geboten, unser
pob und Gut in Kisten zu verpacken, weil wir
gleich in die Gesangenschaft wandern mußten,
obwohl ich einem neutralen Lande angehöre.
Am darauffolgenden Morgen wurden wir nach
Ndunge zurückgebracht, von wo aus wir ge-
meinsam mit meiner Frau und meinem Kind und
mit den übrigen Stationsgenossen und Gästen
die Reise nach der Küste zu antraten. Auf der
nahen Eisenbahnstation Mambellion kamen noch
andere Gefangene dazu. Auf einen offenen Güter-
wagen wurden die Frauen und Kinder und das
Gepäck verladen. Weil keine brauchbare Loko-
motive zur Stelle war, und der Wagen auch keine
Bremsvorrichtung hatte, so band man lange Stricke
hinten an dem Wagen an und ließ diese durch
Schwarze halten, damit bei dem starken Gefälle
der Wagen nicht durchbrennen solle. Ein ge-
fangener Bahnbeamter, der die Linie genau
kannte und der Sache nicht recht traute, bot sich
an, den Transport zu leiten. Er wurde aber
abgewiesen. Es zeigte sich bald, daß die die
Stricke haltenden Leute nicht genügten. Der
Wagen kam in rasenden Lauf. Bei den scharfen
Kurven wäre eine Entgleisung leicht möglich ge-
wesen. Ferner wußten sowohl die Frauen auf
dem dahinsausenden Wagen als wir hinten nach-
eilenden Männer, daß etwa 30 km weiter unten
eine Brücke gesprengt war und der Wagen, wenn
er nicht zum Stehen kommt, in den Dimbombe-
Fluß hinausfährt. In der Verzweiflung begannen
die Frauen nacheinander abzuspringen. Während
ein verwundeter schwarzer Soldat, welcher auch
auf dem Wagen saß, als erster den Absprung
wagte, unter die Räder kam und gleich tot war,
kamen wunderbarerweise die Frauen und Kinder
mit verhältnismäßig geringen Verletzungen davon.
Meine Frau, die mit unserem zweieinhalb-
jährigen Kinde als letzte heruntersprang, hatte
wohl am schwersten unter den Folgen zu tragen.
Sie fiel auf den Rücken und offenbar auf einen
Stein, so daß sie mehrere Wochen lang Schmerzen
hatte und fast nicht liegen konnte. Und der
Hinterkopf des Kindes schlug ihr so scharf auf
den Mund, daß mehrere von den oberen Zähnen
losgeschlagen und zum Teil abgebrochen wurden.
Wir werden diese Schreckensfahrt nie vergessen.
In Duala angekommen, wurden wir Schweizer
zuerst für einige Tage mit den deutschen Gefan-