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Bismarck hielt trotz dieser Warnung eines Sach-
kenners daran fest, daß „es nicht wahrscheinlich sei,
daß Belgien eigene Kolonien am Kongo gründen will,
wohl aber, daß es ein Geldgeschäft durch cinstigen
Verkauf der Gesellschaftsliegenschaften an Frankreich
beabsichtigt".
Bismarck hatte übrigens, wie aus den Akten her-
vorgeht, im Sinn, Rohlfs als deutschen Vertreter bei
den internationalen Verhandlungen über die Kongo-
frage zu bestimmen. Er hatte auch die Absicht, ihn
unter der Hand nach Brüssel zu entsenden, um dort
Informationen über die Gesellschaft einzuziehen.
Diese Absicht wurde gegenstandslos, nachdem Graf
Brandenburg am 13. Mai in einer Audienz beim König
von diesem selbst Auskunft über das Kongounter-
nehmen und den Text des mit Frankreich abge-
schlossenen Abkommens sowie über die wirklichen
Tendenzen desselben erhalten hatte.
Aus dem Bericht des K. Gesandten") über diese
Audienz geht hervor, daß nach der Versicherung des
Königs die Bestimmung über das Vorkaufsrecht
Frankreichs auf die Territorien der Association auf
den ausdrücklichen Wunsch dieser, nicht auf den Frank-
reichs, in die am 23. und 24. April 1884 ausgewechselten
Erklärungen aufgenommen worden ist. Die Gesell-
schaft befürchtete für ihr zukünftiges Bestehen vor
allem die feindselige Haltung Portugals, welches ihr
in jeder Weise entgegentreten werde, ihre Lebens-
bedingungen in jeder Weise erschweren und auf ihren
Untergang hinarbeiten werde, so lange es hoffen
könne, daraus Vorteil zu ziehen. Die Vorkaufsrecht-
klausel, die Frankreich in den Erklärungen eingeräumt
war, falls die Association einmal durch unvorher-
gesehene Umstände bewogen werden sollte, ihren
Besitz zu veräußern, vernichte für Portugal alle Aus-
sichten, und es werde nicht mehr auf den Ruin des
*) Derselbe wurde bald darauf von dem deutschen
Vertreter in Bafbington bestätigt, der einen eigen-
händigen Brief des Königs einzusehen Gelegenheit
gehabt hatte, in dem letzterer sich über diese Angelegenheit
wie folgt äußerte: „La clause por laquckle, en cns
impossible on nous F#aliserions nos Dossessions, un
droit de préférence est donné à la Francc, a été intro-
duite à notre demande pour empècher le FPortugal de
nous poursuisre d’'attaqucs, qui pourraient, si elle
nous décourageait. lui assurer la France commc voisin,
rüe, #a donc aussi seulement pour but la consolidation de
qduvre.
Die Frage, aus welchen Gründen der König sich
veranlaßt sah, dieses immerhin auffällige Vorkaufsrecht-
Abkommen mit Frankreich abzuschließen, ist in der
Kongoliteratur vielfach erörtert worden. F. Cattier
schreibt in seinem Werl: Droit et administration de
Etat Indép. du Congo, S. 76: „Les raisons qui ont
amené I Asscciation à consentir à la création de ce
droit de préférence ne sont pas encore bien connues.
On en est réduit aux conjectures, mais unce étude
attentive de la situntion politiquc au commencement,
de 1884 fournit unc explication Fraisemblable du
Drobleme qui a intrigué plus un unteur.“ Cattier
sicht die Gründe zu dem Uommen einerseits in dem
neuen Freistaates hinarbeiten, wenn es an seiner
Stelle dann in Frankreich einen mächtigen und viel
gefährlicheren Nachbar zu erhalten befürchten müsse.
So werde diese Klausel, die hoffentlich nie zur An-
wendung kommen werde, dazu beitragen, die Unab-
hängigkeit und Zukunft des neuen Staates zu sichern.
Der König sprach sich in der Audienz noch dahin aus,
daß der Zweck des neuen Staates immer vollständig
uneigennützig sein werde, wie die Deklaration gegen-
über Amerika beweise. Seine Verfassung werde
demnächst fertiggestellt werden und eine Dotation solle
seine Zukunft sicherstellen. Die Verfassung werde den
Staat zur Aufrechterhaltung des von ihm beab-
sichtigten Zweckes — dem Handel aller Nationen ein
neues, durch keine Zölle und andere Lasten beschränktes
Gebiet mittels Herstellung von Straßen und Stationen
in seinem Bereich zu eröffnen — verpflichten und die
Dotation gewissermaßen an diese Bedingung knüpfen.
Der König nannte England blind, daß es den portu-
giesischen Vertrag, der hoffentlich nie ratifiziert werden
würde, schließen konnte. Er stellte keine Fragen
darüber, ob die K. Regierung Schritte zur Aner-
kennung der Association tun werde.
m 2. Juni war die kaiserliche Genehmigung ein-
gelaufen, mit Oberst Strauch über diese Frage zu
verhandeln. Da aber von Brüssel keine Anregung
dazu erging, so hüllte man sich auch in Berlin, den
von Friedrichsruh aus ergangenen Anweisungen
gemäß, ins Schweigen.
Unter diesen Umständen sah sich der König ver—
anlaßt, am 12. Juni 1884 folgendes Handschreiben an
Bismarck zu rchten=
Altesse,
Je tiens à remercier Votre Altesse de nous
avoir fait savoir due lIAllemagne désirc la
continuation de la liberté du commerce comme
Wunsch des Königs, mit diesem Entgegenkommen
die definitive Anerkennung des Kongostaates durch
Frankreich in die Wege zu leiten, anderseits in dem
Bestreben der französischen Diplomatie, auf alle Fälleo
zu verhindern, daß England eines schönen Tages sich
doch noch des Kongo bemächtigen könne. Wenn die
oben erwähnten Mitteilungen des Königs nach Berlin
und Washington nicht absichtlich irreführend gewesen
sind, dürfte also die Erklärung Cattiers nicht ganz das.
Richtige getroffen haben. Das Abkommen war übrigens
sehr unvorsichtig redigiert, da es den Ubergang des
Kongo an Belgien nicht vorgesehen hatte. Die Schwierig-
keiten, die sich aus dieser Übersehung später für den
Kongostaat bzw. für Belgien ergaben, sind in Nr. 1
dieser Tritkeheerie Jaus den Archiven des Belgischen
Kolonialministeriums Bd. 1, S. 21 bis 24) eingehend
geschildert. Auch Dr. A. Zimmermann vertritt als
hervorragender Kenner der Kolonialgeschichte die An-
sicht, daß König Leopold Frankreichs Anerkennung des
Kongostaates durch das Zugeständnis des . Vorkufe
rechtes habe erkaufen müssen, wie es sich England seit
langem für die holländischen und portugiesischen Kolo-
nien in ähnlicher Weise gesichert habe. (Dr. A. Zimmer-
mann: Die AK##alreiche der Großmächte 1871 bis
1916. Berlin 1916, 3.)