2 8 71. Die Gesandtschaften.
beruht nicht auf einem Satz der Reichsverfassung, sondern auf der
völkerrechtlichen Anerkennung des Reiches als Staat.
Denn das Gesandtschaftsrecht betrifft das Verhältnis des Reiches zu
anderen Staaten, kann daher nicht durch einen einseitigen
Willensakt des Reiches begründet werden. Die Reichsverfassung be-
stimmt vielmehr nur, durch welches Organ das Reich das ihm nach
völkerrechtlichen Grundsätzen zustehende Gesandtschaftsrecht ausübt,
indem sie im Art. 11 dem Kaiser die Befugnis beilegt, »Gesandte zu
beglaubigen und zu empfangen«, und indem sie den Kaiser ermächtigt,
»das Reich völkerrechtlich zu vertreten«.
Durch diese Bestimmungen wird die Verwaltung der auswärtigen
Angelegenheiten des Reiches zur unmittelbaren Reichsverwaltung
erklärt; das Reich ist nicht darauf beschränkt, den diplomatischen
Verkehr der Einzelstaaten zu überwachen, sondern es hat seine eigene
diplomatische Vertretung. Die Wahrnehmung der internationalen Be-
ziehungen ist dem Kaiser und seinem Minister, dem Reichskanzler,
übertragen.
Aber der Art. 11 der Reichsverfassung überträgt dem Kaiser nicht
das ausschließliche Gesandtschaftsrecht; er enthält kein Verbot
für die Einzelstaaten, mit fremden Staaten einen diplomatischen Ver-
kehr zu unterhalten und Gesandte zu entsenden oder zu empfangen.
Hieraus folgt, daß auch die einzelnen Bundesglieder das aktive und
passive Gesandtschaftsrecht ausüben können, wofern fremde Staaten
den diplomatischen Verkehr mit ihnen fortzusetzen geneigt sind). Das
Gesandtschaftsrecht der Einzelstaaten hat überdies: eine ausdrückliche
Anerkennung gefunden in dem Schlußprotokoll zu dem bayerischen
Bündnisvertrage vom 23. November 1870 Art. VII und VIII und diese
Bestimmungen haben eine auch die übrigen Bundesglieder betreffende
in v. Holtzendorffs Jahrbuch IV, S. 323ff.; Zorn in Hirths Annalen 1882, S. 81 ff.,
409 ff. und in seinem Staatsrecht II, 835; G. Meyer-Dochow, Verw.R. S. 170 ff.;
v. Schulze, D. Staatsrecht II, S. 3355 ff.; Hänel, Staatsr. I, S.53lff.; Arndt,
Staatsr., S.715ff.; Hübler, Die Magistraturen des völkerrechtl. Verkehrs, Berl. 1900;
Windisch, Die völkerrechtl. Stellung der deutschen ‚Einzelstaaten, Leipzig 191.
1) Hinsichtlich der Frage, ob nichtsouveräne Staaten das Gesandtschafts-
recht haben, ist zwischen den staatsrechtlichen und den völkerrechtlichen Beziehungen
zu unterscheiden. Staatsrechtlich hängt es von dem Verfassungsrecht ab, ob der sou-
veräne Staat den ihm untergeordneten oder eingegliederten Staaten den diplomati-
schen Verkehr mit auswärtigen Staaten verbietet oder gestattet; eine allgemein gültige
Regel besteht in dieser Hinsicht nicht. Während der diplomatische Verkehr mit aus-
wärtigen Staaten den Einzelstaaten des Deutschen Reichs gestattet ist, ist in Nord-
amerika und der Schweiz das Gegenteil der Falle Auswärtigen Staaten gegenüber
kann der Empfang und die Entsendung von Gesandtschaften nichtsouveräner Staaten
überhaupt nur in Frage kommen, wenn die letzteren staatsrechtlich dazu befugt sind.
In internationaler Beziehung entscheidet dann aber kein Rechtssatz des Völker-
rechts, sondern lediglich die Erwägung der auswärtigen Regierung, ob sie ein
Interesse daran hat, mit dem nichtsouveränen Staat in direkten diplomatischen
Verkehr zu treten.