Kriegsausbruch 47
Am Nachmittag des 1. August lief die Zeit ab, in der zu ent-
scheiden war, ob der russischen Mobilmachung weiter zugesehen oder
ob auch das deutsche Heer in den Kriegszustand versetzt werden sollte.
Die immer zahlreicher werdenden Meldungen des Nachrichtendienstes
bezeugten das Fortschreiten des russischen Aufmarsches und meldeten
schon den Beginn von Feindseligkeiten an der preußischen Grenze. Im
Portal I des Königlichen Schlosses trat General von Moltke an den
Kaiser mit der Meldung heran, daß die militärische Lage ein Hinaus-
schieben des Mobilmachungsbefehles nicht länger ertrage. Der Kaiser
stand vor dem letzten Entschluß. Nach kurzem inneren Ringen richtete
er sich straff auf. Unter charakteristischer energischer Bewegung mit
der rechten Hand gab er mit einem kurzen „Na gut denn“ dem General
seine Zustimmung. Im Adjutantenzimmer unterschrieb er " Uhr nach-
mittags den Mobilmachungsbefehl. Seine ersten Ratgeber blieben bis
8 Uhr abends um ihn versammelt. Einer von ihnen ließ mich folgen-
des Urteil wissen: „Der Kaiser hat alles persönlich geleitet, indem er
mit unübertrefflichem Takt, scharfem Verstand, großer Ruhe und stolzer
Entschlossenheit über den oft widerstreitenden Ansichten seiner ersten
Ratgeber stand. Diese Tage haben geradezu überraschende Eigenschaften
des Kaisers glänzend ins Licht gerückt. Er hat bei uns, seiner Umgebung,
ungeteilte Bewunderung erregt.“
Der schnell zusammenberufene Reichstag hielt am 4. August seine
erste Kriegstagung ab. Bei der Eröffnung im Weißen Saale des
Königlichen Schlosses sprach der Kaiser unter dem Eindruck der Ein-
mütigkeit des Volkes aus sich heraus das Wort: „Ich kenne keine
Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Die Parteiführer, dar-
unter die der Sozialdemokratie und das Reichstagspräsidium Kaempff-
Masche-Dove, gelobten ihm Einigkeit in die Hand. Am Abend verlangte
der englische Gesandte seine Pässe. Gleichzeitig ging von dem zum
König von Italien entsandten Flügeladjutanten von Kleist die Meldung
ein, daß der König persönlich mit ganzem Herzen bei Deutschland sei;
ein Zusammengehen mit Österreich würde aber in Italien einen Ent-
rüstungssturm entfesseln; einen Aufstand dürfe seine Regierung nicht
wagen. Es war klar geworden, daß Deutschland allein mit Osterreich
dem Kampf mit einer starken Übermacht entgegenging. Der Kaiser be-
wahrte äußerlich eine ruhige und feste Haltung, auch als er am nächsten
Tage im Sternensaale des königlichen Schlosses die englische Kriegs-