Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

114 Elftes Buch. Erstes Capitel. 
Noch hielt es Friedrich an sich für eine unbestrittene Regel der Kunst, 
die Spitzen der Truppen weit vorzuschieben; was nun auch Prinz 
Carl unternehme, er glaubte auf Alles vorbereitet zu sein. Sollte 
er sich auf Oesterreich zurückziehen, um dies zu schützen, so könne 
Seckendorf, der indeß nach Schärding vordringen, sich Passaus be- 
mächtigen müsse, den Preußen die Hand bieten; sollte, was wahr- 
scheinlicher sei, der Prinz seinen Weg nach Böhmen nehmen, dann 
komme es auf eine Bataille an; der König zweifelte nicht, daß er 
darin siegen werde; „ich denke, ich werde nicht Lügen gestraft werden, 
die Armee soll Ehre von meiner Unternehmung haben“. Anfang 
October schreibt er nach Berlin, Alles gehe gut und verspreche ferner 
so zu gehen; die Armee sei in erwünschtem Gesundheitszustand, Offi- 
ziere und Soldaten in der besten Stimmung und geneigt, einen ent- 
scheidenden Schlag zu führen; er bedauert nur, daß die Jahreszeit 
schon zu weit vorgerückt sei, sonst würde sich in diesem Feldzug noch 
viel ausrichten lassen. 
Gewiß, er nahm eine großartige Stellung ein: er sah Böhmen 
zu seinen Füßen, er hoffte in dem nächsten Jahre einen Frieden nach 
seinem Sinne vorschreiben zu können; niemals war er mächtiger ge- 
wesen. Eine welthistorische Frage, wie es ihm weiter gelingen würde. 
Nächste Wirkungen des preußischen Angriffes. 
In Wien erregte der Einfall des preußischen Königs mit nichten 
Schreck, noch auch eine sehr ernstliche Besorgniß, sondern eher ent- 
gegengesetzte Empfindungen. 
Der Anfang des Feldzuges, von dem man eine Entscheidung in 
Deutschland und in Italien erwartete, war mit ungewohnten An- 
dachtsübungen begleitet worden, dreimal vierundzwanzigstündigem Ge- 
bet, zu welchem die Königin früh und Nachmittags von Schönbrunn 
hereinkam. 
Die ersten Verluste in den Niederlanden hatten Jedermann mit 
Unmuth erfüllt; die Königin glaubte sich über den Mangel an ernst- 
lichen Anstalten von Seiten Englands beschweren zu dürfen; es kam 
ihr beinahe vor, als sähe man dort die Fortschritte der Franzosen 
nicht ungern, weil dadurch ein Strich Landes in ihre Hände gerathe, 
mit dessen Herausgabe sie dereinst die Wiederherstellung von Baiern 
vergüten könnten. 
Mit um so größerer Freude wurde darauf der Uebergang der
	        
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